verschiedene: Die Grenzboten, 1. Jahrgang | |
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und glücklich, die Bewegung rasch, die Schilderung ansprechend, voll lebendiger Züge und Farben. – St. Hubertustag, Novelle von L. Storch, ist eine complicirte und spannende Familiengeschichte, mit jener Geschicklichkeit angelegt und berechnet, die bei Romanen, deren Motive Schuld, Fluch, gespenstische Einwirkungen, Träume, Rache und Schicksal sind, in die Stelle des freien dichterischen Ergusses zu treten pflegt.
Aus einem furchtbaren Frevel, den ein hartherziger Baron und Waidmann, an einem Bauer, wegen Wildschießens, verübt hat, entspringt ein Familienfluch, dessen zahlreiche Opfer am St. Hubertustage dem rächenden Dämon verfallen. Die Reihe derselben schließt Emil, ein junger Edelmann, den wir den Helden der Erzählung nennen würden, wenn dazu in ihm eine Anlage wäre. Am Tage vor seiner festgesetzten Vermählung erreicht ihn das Geschick. Indeß erleidet seine Geliebte dadurch keinen Verlust; sie empfand mehr Mitleiden und freundschaftliches Zutrauen als Liebe zu dem von Schwermuth und Lebensunlust geplagten, weichherzigen Jüngling, dessen ganzes Sein sich auf kränkliche Weise an ein weibliches Wesen klammert, nicht mit dem Gefühl, dasselbe beglücken zu können, sondern von dem dunkeln Verlangen getrieben, für das sonst farblose Leben irgend einen festen Halt zu finden. Sigismunde liebt den Grafen Born, und nachdem alle dunkeln Mächte das Feld geräumt haben, wird sie seine glückliche Gemahlin. – Die gelungeneren Partien der Erzählung sind die Spuckscenen im Schlosse Tannenforst. Auf dergleichen, wie es scheint nie abzunutzenden Effekten, beruht größtentheils das Interesse dieser übrigens mit viel Gewandtheit gearbeiteten Novelle. An treffenden Schilderungen fehlt es nicht. Doch ist der Eindruck der Geschichte mehr peinigend als anziehend. Alles das Ungemach, welches die Familie des Barons betrifft, ist Folge der Schlechtigkeit, der rohen Willkühr, gemeiner Tyrannei; nicht ein mächtiges Gefühl, nicht eine gewichtige Individualität, welche uns dem drückenden Mitleiden enthübe, womit wir den Begebenheiten zu folgen gezwungen sind. Die edle Figur des Stücks ist der Graf; aber dieser glückliche Schlußheld ist von Anfang an so fertig, so abgeschlossen, so ein bloßer Mann der Welt, in alles von vorn herein sich schickend, daß er keine große Theilnahme erwecken kann. Emil ist eine unschuldige, aber betrübte Natur; er ringt nicht einmal mit seinem Geschick; er erliegt ohne Kampf und Entschluß. Wie kann eine solche Figur den Dämon zur Ruhe birngen? – Die bloße Fatalität, die uns mechanisch faßt, gehört
verschiedene: Die Grenzboten, 1. Jahrgang. Herbig, Leipzig 1841, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Grenzboten_1-1841.pdf/210&oldid=- (Version vom 31.7.2018)