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Verschiedene: Die Grenzboten (1841/1842), 1. Jahrgang, Band 1

In der Zukunft, wenn der Wechsel der Form, dem alle Künste und die Musik ganz besonders unterworfen sind, Rossini und seine Schule in Vergessenheit gebracht haben wird, wann die Menge den Schöpfer des Wilhelm Tell so wenig kennen wird, wie sie jetzt von dem der Armida und der Iphigenia weiß, dann werden diejenigen, denen die Geschichte der Kunst am Herzen liegt, ein genaues Studium daran setzen müssen, um das Originalwerk von der Nachahmung zu unterscheiden.

Um die Verdienste K. M. Weber’s im rechten Lichte zu würdigen, müssen wir uns erinnern, daß er das Haupt der neuen dramatischen Schule ist, welcher die deutsche Oper ihr heutiges Gedeihen verdankt, und daß Marschner, Spohr nebst vielen andern nichts als Nachahmer seines Styles sind. Weber ist nach Mozart der erste deutsche Componist, der die Opernmusik in ihrer Form und in ihrem Geiste wesentlich verändert hat. Gleichwie Rossini, ist er den übrigen Tonkünstlern seiner Schule, — ich rede nicht von Meyerbeer, der immer für die italienischen und französischen Theater geschrieben hat, — überlegen geblieben, sowohl hinsichtlich des Gedankengehaltes seiner Werke, als wegen des von ihm begründeten Systems der Instrumentation. Allein, nehmen wir auch an, daß er in der Anwendung gleicher Mittel übertroffen wäre, so bleibt ihm doch immer, vor allen andern, der Ruhm, der Erfinder derselben zu sein.

Unter allen Künstlern der Gegenwart ist mir keiner bekannt, dessen Leben und Wirken ein größeres Interesse erweckte, als die Geschichte K. M. Weber’s; nicht sowohl, weil dieselbe mit Ereignissen von allgemeiner Wichtigkeit in Berührung stände, als vielmehr wegen der inneren Bewegungen und Stürme, welche auf das seiner Natur nach reizbare Gemüth eines Künstlers heftiger wirken, als auf die Menschen der praktischen Welt.

Karl Maria von Weber ward bekanntlich zu Eutin, einem holsteinischen Städtchen, am 18ten November 1786 geboren. Sein Vater, ein ausgezeichneter Violinist, bemerkte die Anlage, welche der Knabe schon frühzeitig für die Musik an den Tag legte, und vernachläßigte nichts, sie auszubilden. Aber der junge Weber zeigte nicht allein für die Musik eine angeborne Neigung; er fühlte sich eben so sehr zur Malerei hingezogen, so daß man über die Laufbahn, der man ihn bestimmen sollte, in Zweifel war. Er schloß sich nicht näher an die Kinder seines Alters an, da die Gelegenheit dazu sich nicht darbot; denn die Familie lebte sehr zurückgezogen, und sah in ihrer Mitte nur eine geringe Anzahl Menschen, meist von ernstem Wesen, und fast alle durch irgend ein besonderes Talent ausgezeichnet. So lernte Weber in seiner Kindheit die Freuden nicht kennen, die man in jenen glücklichen Jahren zu genießen pflegt, oder richtiger gesagt, er hatte keine Kindheit. Genöthigt für sich allein zu leben, verschloß er

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Verschiedene: Die Grenzboten (1841/1842), 1. Jahrgang, Band 1. Herbig, Leipzig 1841, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Grenzboten_1-1841.pdf/299&oldid=- (Version vom 23.5.2017)