verschiedene: Die Grenzboten, 1. Jahrgang | |
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allgemeine Menschheit zu Grunde. Jedes Volk, ehe es dieser oder jener Periode, diesem oder jenem Breitengrade zugetheilt ist, ist zuerst Mensch. So erscheint es als die wesentlichste Bedingung jeder Literatur, diesen generischen Character, diese mit der Welt entstandenen Leidenschaften, diese nicht wenigen alten Wahrheiten, welche den allgemeinen Grund der Menschen bilden, auszudrücken. Wir lesen in Montesquieu: „Das Gesetz im Allgemeinen ist die menschliche Vernunft, insofern sie alle Völker der Erde regiert; und die politischen und bürgerlichen Gesetze jeder Nation sollen nur die besondern Fälle sein, auf welche diese menschliche Vernunft angewendet wird.“ Wir definiren nun die Literatur im Allgemeinen als den durch die Schrift ausgedrückten Gedanken, insofern er alle Völker der Erde erleuchtet, in Bewegung setzt oder entzückt; und die Literaturen jeder Nation als die besondern Richtungen des gemein menschlichen Characters. Je mehr Berührungspuncte also die Literatur eines Volkes mit der Menschheit im Allgemeinen bewahrt, um so mehr gehorcht sie in unsern Augen ihrer Natur; je mehr ihre Schriftsteller mit Tiefe und Weisheit in das Gebiet Aller vordringen, um so getreuer erfüllen sie den Zweck ihrer Sendung.
Dieses ist jedoch, nach unserer Art zu sehen, nicht der einzige Character, der allen Literaturen gemeinschaftlich ist; ein aufmerksames Studium derselben enthüllt uns bei jedem Schritt neue Uebereinstimmungen. Bei den Alten hatte sich Rom nach Griechenland geformt; die Völker des neuern Europa’s haben zu der Nachahmung des Alterthums eine gegenseitige Nachahmung ihrer selbst hinzugefügt. Wenn ein bekannter Philosoph aus der politischen Geschichte schließen konnte, daß der Krieg der dem Menschen natürlichste Zustand sei, so spricht, von einem etwas höhern Standpuncte aus, die Geschichte der geistigen Bestrebungen, von der verwickeltsten Philosophie bis zu den letzten Künsten der Mode und des Kostüms, für die ursprüngliche Verwandtschaft derselben. Beschränken wir uns auf eine einzige Thatsache! Untersuchen wir die vorzüglichsten Formen, welche der Mittheilung des Gedankens gewidmet sind, Drama, erzählendes Gedicht, Roman, rednerische Form, so scheinen alle Nationen trotz ihrer besondern Eigenthümlichkeiten, trotz der Meinungen, der Interessen, selbst der Antipathien, die sie trennen, in dieser Beziehung einig, um nach einander das Losungswort anzunehmen, welches heute die Eine, morgen die Andre gibt.
Bis zum zwölften, selbst bis zum vierzehnten Jahrhundert braucht man sich darüber nicht zu verwundern; das Mittelalter hatte nur einen Glauben, nur einen Geist, nur eine Sprache. Aber man glaube nicht, daß die Lage der Dinge sich seit der Zeit geändert habe. Das Programm blieb dasselbe. Nehmen wir irgend eine geschichtliche Idee, die des Christenthums zum Beispiel, wohl verstanden, vom literarischen Gesichtspuncte aus betrachtet. Wir sehen
verschiedene: Die Grenzboten, 1. Jahrgang. Herbig, Leipzig 1841, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Grenzboten_1-1841.pdf/30&oldid=- (Version vom 31.7.2018)