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Verschiedene: Die Grenzboten (1841/1842), 1. Jahrgang, Band 1

Getöse der Menge, die unermüdlich Thurmspitzen aufbaut, um wolkenhoch das Kreuz aufzupflanzen, sich verliert und verstummt. Sanct Peter in Rom allein wird vollendet, trotz der Reformation. Ich kann es mir erklären; St. Peter ist ein Werk des Ueberganges. Es ist der Katholicismus in Unterhandlung mit der heidnischen Kunst, aber doch noch mächtig genug über dieselbe, um ihr seine Größe zu verleihen, während er ihre Formen entlehnt; es ist ein dem Geiste der Kritik gemachtes Zugeständnis); Bramante ist der Luther der christlichen Kunst. Allein die wahre gothische Kirche wird immer da bleiben, wo sie der letzte Gläubige stehen gelassen hat. Der Cölner Dom ist die sterbende Orthodoxie. Vergeblich streckt der allein beendigte Chor die klaffenden Seiten nach dein entfernten Portale hin, dazwischen liegt ein tiefer, unausfüllbarer Abgrund; denn die Ideenfluth des sechzehnten Jahrhunderts ist durch diese Kluft gezogen, die von ferne so groß aussieht, daß es scheint, als baue man noch an zwei Tempeln. Wenn es wahr ist, was ein großer Dichter sagt, daß die Baukunst eine Sprache, und jede Kirche ein Buch ist, o, so betrachtet diese entzwei geschnittene Cathcdrale, da haben wir das katholische Babel! Die Werkleute haben den riesigen Thurm stehen lassen, als sie sich nicht mehr verstehen konnten, und wir Modernen haben die zwei köstlichen Stücke durch eine Art Gemäuer, durch einen elenden Steinaufwurf, an einander gehängt, wir haben, so zu sagen, Anfang und Ende des Satzes, durch eine barbarische Construction, aus den Fugen gerissen, etwa so, wie die Gelehrten mit dem Texte des Pindar und des Homer umgegangen sind, und, zehnmal reicher, als unsere Voreltern, beklagen wir uns, nachdem wir ihre Steine gehörig ausgebeutet, noch über den Aufwand, den uns das WerK kostet! Von welcher Seite man auch Cöln betrachtet, so fällt diese Zerrissenheit des Chors und des Portals in die Augen, und gibt dem Beschauer Stoff zum Nachdenken. Es finden sich bei Coleridge Verse, worin zwei auf immer getrennte Freunde einem Felsen verglichen werden, den ein Blitzstrahl zerschmettert hat, und dessen Risse noch ganz geschwärzt sind. So ist dieses Chor, so dieses Portal; noch könnet ihr an einem schönen Sommertage den Blitz der Reformation, die Sonne der Renaissance darüber glänzen sehen; und jener Hebebaum, den der Baumeister dort hat stehen lassen, und der, gleich dem Arme eines zerschmetterten Titanen, nur auf den Pelion zu warten scheint, um ihn auf den Ossa zu stürzen, hat auch seine Bedeutung: es ist der Hebel des Archimedes, es ist diese mächtige Triebfeder des Glaubens, die den Weltkreis in Bewegung setzt! Lasset diese düstern Wahrzeichen uns zur Lehre dienen, eilen wir uns, als Riesen eines andern Zeitalters, weil wir an die Industrie glauben, auch großartige Werke aufzurichten, es könnte uns ja sonst einer jener zerstörenden Windstöße ereilen, die den Aufschwung eines ganzen Jahrhunderts lähmen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Grenzboten (1841/1842), 1. Jahrgang, Band 1. Herbig, Leipzig 1841, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Grenzboten_1-1841.pdf/83&oldid=- (Version vom 31.7.2018)