Seite:Die Grenze zwischen Leben und Tod.pdf/3

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Walther Kabel: Die Grenze zwischen Leben und Tod (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 1)

Erbschaft der Kleinen, da nach den Bestimmungen des französischen Bürgerlichen Gesetzbuchs Erbe nur werden kann, wer zur Zeit des Todes des Erblassers selbst noch lebt, an entfernte Verwandte des verstorbenen Herrn Vorilaux als an die nächsten nach dem Ausscheiden der Mutter Erbberechtigten gefallen.

Belmond aber erhob nach Befragen mehrerer ärztlicher Autoritäten im Prozeßwege Anspruch auf die Hinterlassenschaft seines Stieftöchterchens mit der Behauptung, die Angabe der amtlichen Totenscheine über den Zeitpunkt des Todes von Mutter und Kind seien unrichtig. Die kleine Mignon müsse nach der ganzen Art ihrer Verletzungen sofort gestorben sein und nicht erst nach ihrer Einlieferung in das Krankenhaus, in jedem Falle aber vor ihrer Mutter.

Dieser Prozeß hat die Aufmerksamkeit der ganzen medizinischen Welt erregt, und die Gutachten, die im Laufe der Verhandlungen von den ersten Gelehrten Frankreichs abgegeben wurden, können als grundlegend für die Frage gelten, wann der Arzt erst mit Sicherheit zu sagen vermag, daß der Tod bei einem Menschen wirklich eingetreten ist.

Auf Antrag des Klägers Belmond waren die Leichen seiner Frau und seines Stieftöchterchens sofort von Gerichts wegen seziert worden, um die nähere Todesursache bei beiden einwandfrei festzustellen. Hierbei ergab sich, daß der Schwere der einzelnen Verletzungen nach tatsächlich die kleine Mignon fast augenblicklich gestorben sein mußte, während bei Frau Belmond immerhin die Möglichkeit vorlag, daß sie noch einige Minuten gelebt haben könnte. Im Gegensatz zu diesem Sektionsbefund stand, wenigstens was den Tod des Kindes anbetraf, die Aussage der beiden als Zeugen vernommenen Krankenhausärzte. Diese bekundeten übereinstimmend, daß sie bei dem kleinen Mädchen zwar keine Anzeichen für eine noch bestehende Tätigkeit der Lungen, dafür aber deutlich wahrnehmbare Herzschläge beobachtet hätten. Somit wäre das Kind also auch noch, als sie es untersuchten, am Leben gewesen.

Hier setzten nun die Gutachten der medizinischen Autoritäten ein. In diesen kam in der Hauptsache folgendes zum Ausdruck, wie die Pariser Zeitschrift für gerichtliche Medizin mitteilte:

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Die Grenze zwischen Leben und Tod (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 1). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1914, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Grenze_zwischen_Leben_und_Tod.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)