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Moritz & Alb. Hendel in Oelsnitz i./V.
Corsetfabrik.

Unsere Reise führte uns jüngst in das voigtländische Städtchen Oelsnitz. Es kann nun nicht unsere Aufgabe sein, hier die landschaftlichen Reize der Umgebung von Oelsnitz zu beschreiben; wir haben vielmehr unser Augenmerk auf die industrielle Thätigkeit dieses Ortes zu lenken. In der That verdient Oelsnitz zu den industriereichsten Städten des Königreichs Sachsen gezählt zu werden.

Wie überall im Voigtlande ist es auch hier die Textilbranche, welche den ersten Platz der gewerblichen Thätigkeit einnimmt; an der Spitze der Textilindustrie des Ortes aber steht die Corsetfabrikation.

Die Corsetfabrik der Firma Moritz & Alb. Hendel in Oelsnitz, die wir dem freundlichen Leser im Bilde vorführen, ist unstreitig eines der ersten, größten, leistungsfähigsten Etablissements der Branche nicht nur in Sachsen und Deutschland, sondern in ganz Europa! – Im Jahre 1865 von den durch die Firma benannten Besitzern gegründet, hat sich die Fabrik von bescheidenen Anfängen schnell durch rastlosen Eifer der Besitzer und durch geschickte Benutzung der jeweiligen Conjuncturen zu der jetzigen Höhe und Bedeutung emporgearbeitet. Das Absatzgebiet der Fabrikate hat heut’ seine Ausdehnung nicht nur über ganz Europa genommen, sondern auch andere Welttheile, insbesondere Amerika, sind als lebhafte Abnehmer des Etablissements seit langen Jahren gewonnen.

Wie erfreulich sich die Corsetfabrik der Herren Moritz & Alb. Hendel in Oelsnitz entwickelt hat und auf welcher Höhe sie jeht steht, geht am deutlichsten aus den nachfolgenden Angaben hervor.

In der Fabrik selbst sind jetzt circa 700, meist weibliche Personen angestellt, die an mit Dampf betriebenen Nähmaschinen, Zuschneidemaschinen und Kupferformen etc. arbeiten. Außer diesen sind noch 700–800 Leute außer der Fabrik auf Nähmaschinen und Handarbeit beschäftigt. Das Etablissement beschäftigt demnach circa 1500 Personen. Entsprechend dieser großen Arbeiterzahl ist auch die Produktion eine sehr bedeutende; sie beträgt täglich 350–400 Dutzend Corsets. Im Jahre werden demnach circa 1½ Millionen Corsets in der Fabrik hergestellt und versendet.

Als Rohstoffe kommen zur Verarbeitung: wollene, baumwollene, leinene und seidene Stoffe; ferner als Einlage: Stahl, Fischbein und Rohr, und zu Verzierungen dienen: Seide und Spitzen.

Es erübrigt nun noch eine kurze geschichtliche Darstellung des Entwicklungsganges der Fabrik zu geben.

Zur Zeit der Gründung des Etablissements war die Fabrikation genähter Corsets hier noch ganz unbekannt. Unter persönlicher Anleitung der Gründer – der jetzigen Besitzer – der Fabrik wurden zunächst 5–6 Personen, teils für Hand-, teils für Nähmaschinenarbeiten angelernt. Nach und nach wurde mit dem Wachsen des Geschäfts die Zahl der Arbeiter und Maschinen erhöht und schon vor mehreren Jahren war jene Zahl derart gewachsen und die mechanischen Einrichtungen waren so vorzüglich, daß das Etablissement unbestritten das bedeutendste der Branche in ganz Deutschland ist.

Selbstverständlich hatte das Etablissement unter dem Drucke der Verhältnisse in den Kriegsjahren 1866 und 1870 mitzuleiden. Jedoch das Geschäft ruhte auf solider Basis und erfreute sich umsichtigster Leitung, so daß diese Krisen keinen besonderen und namentlich – wie ja durch das stete Emporblühen des Geschäftes treffend nachgewiesen – keinen dauernden nachteiligen Einfluß auszuüben vermochten. Dagegen hat es der Fabrik an ehrenden Auszeichnungen, so z. B. schon auf der Chemnitzer Ausstellung von 1867, nicht gefehlt, insbesondere wurde das Etablissement auch durch den Besuch Sr. Königlichen Hoheit des Prinzen Friedrich August im Jahre 1886 ausgezeichnet. Außerdem haben verschiedene hohe Regierungsbeamte etc. das Etablissement besucht, um von seinen vorzüglichen Einrichtungen Kenntnis zu nehmen.

Wir schließen hiermit unseren Bericht, jedoch nicht ohne die aufrichtige Anerkennung den zur Leitung der Fabrik berufenen Besitzern rückhaltlos auszusprechen und mit dem Wunsche einer ferneren gedeihlichen Fortentwicklung des Etablissements als Entschädigung für die Sorgen und Mühen und als Belohnung für die rastlose Thätigkeit im Dienste der Industrie!

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Groß-Industrie des Königreichs Sachsen in Wort und Bild. Erster Theil. Eckert & Pflug, Kunstverlag, Leipzig 1892, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gro%C3%9F-Industrie_des_K%C3%B6nigreichs_Sachsen_in_Wort_und_Bild_Teil_1.pdf/166&oldid=- (Version vom 23.2.2020)