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Heinrich Dietel in Wilkau,
Kammgarnspinnerei.

Die Kammgarnspinnerei von Heinrich Dietel in Wilkau gehört in allererster Linie zu jenen industriellen Etablissements, welchen der Zwickauer Kreis nicht nur die Einführung und Ausbreitung der industriellen Thätigkeit verdankt, sondern die auch auf die Hebung des volkswirtschaftlichen Lebens in wohlthätigster Weise eingewirkt haben. Nicht alle großen Industrie-Etablissements wirken in gleicher Weise auf die Hebung des Wohlstandes einer Gegend. Sofern einer großen Anzahl von Arbeitern und Beamten durch industrielle Unternehmungen ihre und ihrer Familien Existenz gewährleistet wird, sind sie alle die Grundlage, auf welche sich der Wohlstand der Bevölkerung aufbaut. Auf den individuellen Anschauungen des Leiters resp. Eigentümers eines industriellen Unternehmens beruht es jedoch, ob die Grundlage, hier der Arbeitsverdienst, der Lohn der beschäftigten Personen, eine Erweiterung erfahren soll durch freiwillige Zuwendungen, welche bestimmt sind Wohlthätigkeitszwecken in besonderen Fällen für das Arbeits- und Betriebs-Personal zu dienen. Dahin gehören z. B. Stiftung und resp. Dotierung von Kranken-, Alters- und Invaliditätskassen, Sparkassen und dergl. mehr.

Man unterschätze nicht die Wirkung, welche durch derartige Wohlfahrtseinrichtungen in Fabriken auf die ökonomische Hebung des Wohlstandes ganzer Ortschaften und Bezirke ausgeübt wird. Sie entlasten die Armenpflege der Gemeinden in hohem Grade. Es würde zu weit führen, wollten wir alle die Vorteile, welche durch die Wohlfahrtseinrichtungen der Fabriken, wenn auch meist geräuschlos, sich entwickeln und in Zukunft erst augenscheinlicher hervortreten werden, näher erörtern. Wir glaubten aber die Verpflichtung zu haben, gerade diese still und hilfebringend wirkenden Einrichtungen ans Tageslicht zu ziehen. Und dazu bieten die von dem Begründer und den späteren Inhabern der Kammgarnspinnerei von Heinrich Dietel in Wilkau geschaffenen Wohlfahrtseinrichtungen willkommene Gelegenheit.

Wir kommen im Laufe unserer Darstellung noch näher auf specielle Daten dieses Gegenstandes zurück und geben zunächst einen kurzen Abriß der Geschichte und Entwickelung der Fabrik.

Die Kammgarnspinnerei von Heinrich Dietel in Wilkau wurde im Jahre 1853 von Herrn Heinrich Dietel in Cunersdorf bei Kirchberg begründet. Ursprünglich war der Betrieb ein bescheidener und umfaßte nur Kämmerei mit Handbetrieb, später mit Heilmann’schen Kammmaschinen, fast die ersten, welche in Sachsen in Betrieb genommen wurden. Den Anfang der jetzigen Spinnerei bildeten 3000 Feinspindeln; im Jahre 1869 wurde die Fabrik von Cunersdorf nach Wilkau verlegt, wo sie sich eines von Jahr zu Jahr erweiterten Betriebes und einer ansehnlichen Vermehrung des Absatzes ihrer Fabrikate zu erfreuen hatte.

Durch keine Krisis gehemmt – die umsichtige und energische Geschäftsleitung hatte sogar die Fabrik vor den für die Industrie so ungünstigen Conjuncturen der siebenziger Jahre bewahrt – entfaltete sich die Fabrik zu immer höherer Blüte, sodaß sie heute unstreitig zu den ersten und leistungsfähigsten Fabriken ihrer Branche nicht nur in Sachsen, sondern in ganz Deutschland zählt. – Gegenwärtig beschäftigt die Fabrik 700 Arbeiter, welche an 24 Kammstühlen und 40 000 Feinspindeln sowie 7500 Zwirnspindeln thätig sind. Eine große Dampfmaschine von 1000 indic. Pferdekräften, die auf Seilbetrieb eingerichtet ist, treibt die gesamten Arbeitsmaschinen. –

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Groß-Industrie des Königreichs Sachsen in Wort und Bild. Erster Theil. Eckert & Pflug, Kunstverlag, Leipzig 1892, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gro%C3%9F-Industrie_des_K%C3%B6nigreichs_Sachsen_in_Wort_und_Bild_Teil_1.pdf/72&oldid=- (Version vom 23.2.2020)