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Joh. Giehler, Chemnitz
Mechanische Weberei, Färberei und Appreturanstalt für Sonnen- und Regenschirmstoffe.

Schon in den dreißiger Jahren war Chemnitz der Zentralpunkt für Fabrikation und Einkauf baumwollener Schirmstoffe, während Crefeld das Monopol auf halb- oder reinseidene besaß. Es gab verschiedene große Handelshäuser, die in dem „deutschen Manchester“ ansässig waren und im Inlande wie im Auslande einen wohlbegründeten Ruf in dieser Branche genossen. Bei einem derselben machte der Begründer der obigen Firma, Herr B. Edmund Giehler, seine Lehrzeit als Weber durch. Das Haus ließ in Chemnitz und im Gebirge auf mehreren hundert Handstühlen baumwollene Schirmstoffe fabrizieren und bezog außerdem halbwollene Stoffe (Alpacca) aus England, die es wieder an deutsche Interessenten abgab. Diese geschäftlichen Beziehungen mit England verfehlten nicht, frühzeitig das Augenmerk des jungen Mannes auf den Markt und die Industrie des Inselreiches zu lenken; kaum der Lehre entwachsen, beschloß er, mit eigenen Augen zu schauen und reiste im Januar 1867 hinüber. Einige Monate lang arbeitete er dort in einer mechanischen Weberei, aber bereits im April kehrte er zurück, und als Ergebnis seiner technischen Studien brachte er den ersten englischen mechanischen Webstuhl mit Patentvorrichtung für Schirmstoffe mit ins Vaterland. Blutjung – im Alter von erst 19½ Jahren – unternahm B. E. Giehler das Wagnis, sich zu etablieren. Da er noch nicht mündig war, so mußte dies im Namen seiner Mutter Johanne verw. Giehler geschehen, und die Firma lautet infolgedessen noch heute „Joh. Giehler“. Das junge Geschäft war von seltenem Erfolge begünstigt und blühte schnell empor. Noch im selben Jahre wurden zwei weitere Webstühle aufgestellt, 1868 waren es ihrer acht, und 1869 trat ein Schulkamerad, Herr Otto Müller, als Associé ein und ermöglichte es durch seine Einlage, daß die Zahl der Webstühle auf 16 erhöht werden konnte. Bald darauf aber nahte eine Krisis: der deutsch-französische Krieg brach aus, Herr Otto Müller wurde als Reserveoffizier zur Fahne einberufen, und nach der Schlacht von Gravelotte kam die Botschaft, daß er im Dienste des Vaterlandes auf dem Schlachtfelde geblieben sei. Um die, wenn auch bescheidene Einlage des Verstorbenen herauszahlen zu können, nahm die junge Firma abermals einen Teilhaber auf, Herrn Paul Kühne, der im Oktober 1870 eintrat und noch jetzt Mitbesitzer der Firma ist.

Bis dahin waren die produzierten Schirmstoffe für eigenen Verbrauch angefertigt worden, da 1868 noch eine Schirmfabrik errichtet worden war, deren Waren im offenen Ladengeschäft, auf

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Verschiedene: Die Groß-Industrie des Königreichs Sachsen in Wort und Bild. Zweiter Teil. Eckert & Pflug, Kunstverlag, Leipzig 1893, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gro%C3%9F-Industrie_des_K%C3%B6nigreichs_Sachsen_in_Wort_und_Bild_Teil_2.pdf/139&oldid=- (Version vom 4.8.2020)