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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band

sagte: Ich fühle das Bedürfniß mich vor der Gemeinde zu entschuldigen wegen der gänzlich unbefriedigenden Art, wie ich mein Thema ausgeführt habe, und die davon herrührt, daß ich diesen Abend einen gänzlichen Mangel an geistlichem Leben in mir selbst verspüre, dessen ich mir nicht bewußt war, als ich in den Saal trat.“

Die einfache und edle Aufrichtigkeit, mit welcher diese Erklärung abgegeben wurde, erfrischte mich gänzlich, und auch die Art, wie seine Freunde den verunglückten Abend aufnahmen. Man sah, daß sie dachten: Dieß ist etwas Unbedeutendes und Channing kann es ein andermal gut machen. No matter (macht nichts). Ein kleiner Kreis von Freunden schloß sich um Channing, während der größere Theil der Gemeinde still den Saal verließ. Später sagte er zu Markus und Rebekka, er könne sich die zauberähnliche Schwere nicht erklären, die diesen Abend seine Redefähigkeit gehemmt habe. Er sei ganz munter, vergnügt über den schönen, sternhellen Abend und voll Redelust aus seiner Wohnung am Hudson nach New-York gekommen. Aber als er in den Saal getreten, sei er wie gelähmt gewesen und habe die schwere, hemmende Kette, die er der magischen Einwirkung eines feindseligen Geistes zuzuschreiben geneigt sei, nicht abzuschütteln vermocht. Wenn ich indeß manchmal den Glanz in Channings Augen, die feine scharfe Röthe auf seinen Wangen sehe, so möchte ich fragen, ob nicht sein an exaltirten Augenblicken reifes Leben die feindselige Macht ist, die zu gleicher Zeit das Leben steigert und den Tod näher rückt. Der Prometheusgeist, welcher das Feuer vom Himmel raubt, muß noch mit Tagen der Gebundenheit und der Qual dafür büßen. Aber wer kann und wer will wohl den Vogel hindern, die Höhe zu suchen, wenn er sich auch dabei dem Schuß des Jägers aussetzt, oder dem Seidenwurm zu spinnen, wenn er auch sein eignes Grab spinnt? Aus den Fäden, die er gesponnen hat, webt dennoch das Menschengeschlecht seine Festkleider.

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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band. Franckh, Stuttgart 1854, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Heimath_in_der_neuen_Welt,_Erster_Band.djvu/114&oldid=- (Version vom 6.7.2019)