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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band

das große steinerne Gesicht betrachten und sich in den hohen Adel und die Schönheit seiner Züge vertiefen. So wuchs er auf, ging in die Schule, wurde Jüngling und Schullehrer und Pfarrer; aber immer sah er auf das hohe reine Gesicht im Gebirge, und immer mehr wuchs seine Liebe für die Schönheit desselben und immer inniger sehnte er sich nach dem Mann der Verheißung, der seine herrlichen Züge tragen sollte.

Auf einmal ging ein großer Ruf durch das Thal: Er kommt! er kommt! Und alles Volk zog aus um dem großen Mann entgegen zu gehen und ihn willkommen zu heißen, und der junge Priester unter der Menge. Und der große Mann kam in einem großen Wagen, gezogen von 4 Pferden, umgeben von einem jauchzenden Volkshaufen. Und alles Volk rief: Wie gleicht er dem großen steinernen Gesichte! Aber schon auf den ersten Blick sah der junge Priester, daß er es nicht war, daß er der verheißene Fremdling nicht war. Und nachdem er sich einige Zeit im Thal aufgehalten, sah alles Volk dieß auch. Aber der junge Priester wandelte seines Wegs still weiter, indem er Gutes that und den verheißenen Wohlthäter erwartete. Und immer sah er auf das große Gesicht und meinte vor seinen Augen zu leben und zu handeln. Noch einmal geht das Gerücht durch das Land aus: Er kommt, er kommt der große Mann! Und wieder strömt das Volk hinaus ihm entgegen. Und er kommt in Pracht und Herrlichkeit wie vorher und wieder ruft das Volk: Wie gleicht er dem großen steinernen Gesicht! Das ist er gewiß! — Und der Jüngling sieht ein blaßgelbes Gesicht, das wirklich dem großen Gesicht ein wenig gleicht; aber es ist doch auch etwas sehr ungleiches darin. Und nach einiger Zeit wird diese Ungleichheit immer mehr bemerkt und man sieht bald allgemein, daß der große Mann kein wirklich großer Mann und dem großen steinernen Gesicht ganz und gar nicht gleich ist. Und er

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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band. Franckh, Stuttgart 1854, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Heimath_in_der_neuen_Welt,_Erster_Band.djvu/247&oldid=- (Version vom 9.9.2019)