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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band

wird aus dem Thal weggewiesen. Diese Hoffnungen und Täuschungen erneuern sich noch ein paarmal. Endlich gibt der Missionär seine sanguinische Erwartung auf, hofft aber noch immer im Geheimen und fährt fort im Stillen in seinem Beruf zu wirken, immer ernster und in ausgedehnteren Kreisen, immer zu dem großen Gesicht emporschauend und gleichsam seine Züge immer tiefer und tiefer in seine Seele prägend. Während der Zeit ist der Jüngling Mann geworden; sein Haar hat zu grauen und sein Gesicht von den Furchen des Alters gepflügt zu werden begonnen; aber noch ist der große Erwartete nicht gekommen. Gleichwohl hofft er noch immer. Inzwischen hat sein Einfluß das Volk im Thale veredelt und verschönert. Allgemeiner Friede und allgemeine Wohlfahrt sind nach einer langen Reihe von Jahren entstanden. Das Haar des Missionärs ist silberweiß; sein Gesicht ist blaß geworden und hat starre Züge bekommen, doch ist es voll von Menschenliebe. Da beginnt das Volk im Thale zu flüstern: Sieht man nicht deutlich, daß er eine merkwürdige Aehnlichkeit mit dem großen steinernen Gesichte bekommt? … Eines Abends kommt ein Fremdling zu der Hütte des Priesters und empfängt Gastfreundschaft. Er ist ins Thal gekommen, um das große steinerne Gesicht zu sehen und den Mann, von welchem das Gerücht sagte, daß er seine Züge trage nicht blos in der Schönheit des Gesichts, sondern auch in der Schönheit des Geistes. An dem stillen Abend vor den ewigen Lichtern, vor dem großen steinernen Gesicht im Gebirge erkennt der Fremdling den Gesuchten in — seinem Wirth; und dieser, dessen letzte Stunde gekommen ist, fühlt seine Seele schwellen von einer glückseligen Ahnung, während seine Züge im Tode erstarren und sich in diesem Augenblick zu vollkommener Gleichheit mit dem großen Gesichte verklären, welchem auch in der Todesstunde sein Antlitz zugekehrt ist.

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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band. Franckh, Stuttgart 1854, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Heimath_in_der_neuen_Welt,_Erster_Band.djvu/248&oldid=- (Version vom 16.9.2019)