Seite:Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band.djvu/417

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band

des Negers für Neger, ganz frisch aus ihrem Alltagsleben geschöpft.

Am Nachmittag desselben Tags war ich auch mit Mr. Fay in der Kirche, um eine andere Negerpredigt zu hören. Der Prediger war jetzt ein ältlicher Mulatte, ein schöner, kräftiger Greis, der sich Vermögen erworben hat und unter seinem Volk großes Ansehen als Prediger und Täufer genießt. Er artete in Bezug auf äußere Erscheinung und sein ganzes Wesen der weißen Race nach. Er sagte in seiner Rede, daß er 95 Jahre alt sei, und erzählte seine religiöse Lebenserfahrung, seine geistlichen Bekümmernisse und Qualen, welche soweit gegangen seien, daß er dem Selbstmord nahe gewesen, und endlich seine Gefühle, als der Begriff von Christus und Erlösung für seinen Verstand aufgegangen sei. „Die Gesellschafterin meines Lebens, meine Frau, schien mir von Neuem jung und glänzte für mich in neuer Schönheit und ich konnte nicht umhin zu ihr zu sagen: Wahrhaftig Weib, ich liebe Dich!“ Ein junges Frauenzimmer auf der Bank, wo ich saß, bückte sich um zu lachen. Ich bückte mich gleichfalls, aber um Thränen zu vergießen, welche die Freude, die Sympathie, eigene Lebenserinnerungen und die lebendige kindliche naturwarme Schilderung mir entlockten. Nach der Predigt schüttelten Mr. Fay und ich dem kräftigen Alten Andrew Marshall die Hände. Der Chor auf der Emporkirche, Neger und Negerinnen, sang vierstimmig und so rein und schön, als man sich nur denken kann. Nach dem Gottesdienst trat ein Weib vor und kniete am Altar nieder, wie es schien in tiefer Bekümmerniß, und der alte Prediger sprach über sie, für ihre Trauer und ihren heimlichen Kummer ein schönes, inniges Gebet. So in der Kirche über und für Betrübte zu beten, scheint in den Baptistenkirchen hier Gebrauch zu sein.

Empfohlene Zitierweise:
Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band. Franckh, Stuttgart 1854, Seite 413. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Heimath_in_der_neuen_Welt,_Erster_Band.djvu/417&oldid=- (Version vom 1.3.2020)