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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band

dieser kühne Mann, der Vollkommenheit beim Menschen fordert, in seinen Schriften eine beinahe magische Zauberkraft für mich. Ich mache oft Einwendungen gegen ihn, ich hadere mit ihm, ich sehe, daß sein Stoicismus eine Einseitigkeit, sein Pantheismus eine Unvollkommenheit ist, und ich weiß Etwas, was größer und vollkommener ist; aber ich befinde mich unter dem Zauber, ich meine größer zu werden durch seine Größe, stärker durch seine Stärke, und ich athme in seinen Werken eine Hochlandluft, die unbeschreiblich erfrischend auf mich wirkt. Emerson hat mehr Idealität, als bei Denkern englischen Stammes gewöhnlich ist, und man könnte sagen, in ihm habe sich Germaniens Idealismus mit Brittanniens Realismus vermählt. Ich bin noch niemals einen Schritt gegangen, um einen literarischen Löwen zu sehen, aber Waldo Emerson, diesen Pionier in den moralischen Wäldern der neuen Welt, der seine Axt an die Wurzeln der alten Bäume setzt, um sie niederzuhauen und für neue Pflanzungen den Weg zu bahnen, diesen Mann zu sehen, würde ich ein schönes Stück Wegs gehen. Und sehen möchte ich ihn auch, den Mann, der in einem so streng kirchlichen Staat, wie in Massachussetts und in Boston (Emerson war Geistlicher in einer unitarischen Gemeinde zu Boston), den Muth hatte, offen seinem Priesterstand, seiner Kirche und dem christlichen Glauben abzusagen, weil er an einigen seiner Hauptlehren zum Zweifler geworden, edel genug, um sich dennoch die allgemeine Achtung und seine alten Freunde zu erhalten, stark genug, um sich mit Vermeidung aller Polemik und jedes bittern Wortes in die Stille zurückzuziehen, um allein für die Wahrheit zu wirken, die er als vollkommen erkannt, für die Lehren, zu welchen der Heide und der Christ sich auf gleiche Weise bekennen. Emerson hat ein Recht von Stärke und Wahrheit zu sprechen, denn er lebt für diese Tugenden. Und die Welt, die in der Kirche schläft aus

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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band. Franckh, Stuttgart 1854, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Heimath_in_der_neuen_Welt,_Erster_Band.djvu/48&oldid=- (Version vom 9.3.2019)