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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Zweiter Band

in ein großes Tuch oder einen Mantel hüllten und sodann schnell aus dem Chor wegführten.

So hatten fünf junge Mädchen und ein junger Mann den Taufact durchgemacht, aber noch blieb eines der jungen Kinder übrig, die jüngste und schönste, die in der Ecke, wo sie während der ganzen langen Ceremonie mit der Taufe der Andern unbeweglich stand, einem Kirchenengel gleich, und die man für ein Bild hätte nehmen können, wenn nicht die zierlichen Rosen auf ihren Wangen bewiesen hätten, daß die Gestalt lebte. Aber ich wunderte mich über die Kraft des zarten Mädchens, so lange und so unbeweglich in der Erwartung dazustehen. Und jetzt stieg der junge Priester aus dem Wasserbecken herauf, und Alles schien zu Ende zu sein. Hatte man das schöne junge Mädchen vergessen, oder war sie doch kein lebendiges Wesen, ein Bild, ein Kirchenengel? Ein alter Mann trat vor und redete die Versammlung an. Es war der Vater des jungen Mädchens; er war ihr Lehrer gewesen, hatte sie in die Lehren und das Leben der Religion eingeweiht und sie zur Taufe vorbereitet. Er hatte sich die Erlaubniß erbeten und sie auch erhalten, das Sacrament der Taufe seinem geliebten Kinde mit eigenen Händen zu geben. Er stieg in das Becken hinab. Jetzt bewegte sich das Bild an der Kirchenwand. Allein schritt das junge Mädchen vor, so leicht, so vertrauensvoll, wie das Kind zu einem geliebten Vater, und überließ sich seinen Händen. Es war schön und wahrhaft rührend, den alten Mann und das junge Mädchen so vor den Augen des Himmels dastehen zu sehen — den Vater, der die Tochter einweihte, die Tochter, die sich der Leitung des Vaters und durch dieselbe einem heiligen Leben hingab — noch schöner wäre es gewesen, wenn sie statt der weißen Gewölbe und Kirchenwände mit dem blauen Himmel über sich und grünen Bäumen um sie her dagestanden hätten.

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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Zweiter Band. Franckh, Stuttgart 1854, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Heimath_in_der_neuen_Welt,_Zweiter_Band.djvu/132&oldid=- (Version vom 4.8.2020)