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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Zweiter Band

Lebens. In der stillen, dunkeln Nacht, als die Sterne zwischen Wolken über uns funkelten, fuhren wir über den Ontario-See, auf einem stattlichen Dampfboot und in der Dämmerung den Niagarafluß hinauf, ein kleines, aber romantisch schönes Kind des großen Falles. Just als die Sonne aufging, stiegen wir ans Land und in den Wagen, um dorthin weiter zu reisen.

Es war ein herrlicher Morgen, etwas kalt, aber klar und lebensvoll. Ein paar Stunden später waren wir an Ort und Stelle, hörten die mächtig tosende Stimme des Ungeheuers, bevor wir es sahen, und da bei der weit vorgeschrittenen Jahreszeit nicht viele Fremde da waren, erhielten wir in „Katarakthaus“ die besten Zimmer, die wir uns nur wünschen konnten, und dann eilten wir hinaus, um unser Ziel zu sehen.

Der Niagarafall macht einen großen und heitern Eindruck, hat aber Nichts, was den Betrachter mit Erstaunen oder Angst erfüllen könnte. Wenn man bis zu dem großen Fall vorgeht, der auf dem Gebiet Canadas ist, so sieht man eine gewaltige Wassermasse, die lothrecht, in Hufeisen- oder Halbmondsform von einem breiten, ruhigen Wasserspiegel hernieder fällt. Man könnte sagen, das Wasser stürze aus einem offenen Busen. Still und klar, in der schönsten smaragdgrünen Farbe wölbt sich die Wassermasse über den steilen Felsen, und erst im Fall bricht sich der Sturm und die wilde Naturmacht Bahn, aber hier mehr majestätisch, als wild. Der Trenton ist ein von Jugendlust und altem Sherry trunkener junger Held, der im blinden Uebermuth gewaltsam und schrecklich auf seiner Bahn hervorrauscht. Niagara ist eine Göttin, ruhig und majestätisch auch in Ausübung der höchsten Kraft. Sie ist mächtig und gewaltsam. Sie ist ruhig und läßt den Zuschauer so. Sie hat große, stille Gedanken, und ruft solche bei denjenigen hervor, welche sie verstehen können. Sie schlägt nicht mit Erstaunen, aber

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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Zweiter Band. Franckh, Stuttgart 1854, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Heimath_in_der_neuen_Welt,_Zweiter_Band.djvu/238&oldid=- (Version vom 23.9.2020)