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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Zweiter Band

Washington, Columbia, 1. Juli.  

Ich empfand einen kleinen Freudeschauer, als ich vorgestern Abend vom Capitol der Vereinigten Staaten herab das herrliche Panorama des vom Potomak durchschnittenen und von goldenen Abendwolken beglänzten Landes überschaute. Es war ein prächtiger Anblick. Diese Lage des Capitols, seine Umgebung und die Aussicht, die es darbietet, gehören wahrlich zum Schönsten, was man sehen kann. Und der Volksvertreter, welcher hier für Land und Volk sprechen soll, muß nothwendig begeistert werden von dem Anblick, den er von hier aus über das Land hat; er muß Freude und Stolz empfinden, daß dieß sein Land ist und daß er für das Wohl desselben wirken kann. Ich war diesen Abend in Gesellschaft mit Miß Lynch, der anmutsvollen jungen Dichterin, die jetzt in Washington ist, um für ihre Mutter, die Wittwe eines Marineoffiziers ist, eine Pension vom Congresse auszuwirken, sowie mit dem amerikanischen Consul in Canada, einem angenehmen jungen Mann Namens Andrews.

Tags darauf besuchte ich mit ihr und Dr. Hebbe, einem seit mehreren Jahren in Amerika ansäßigen Schweden, den Senat und das Repräsentantenhaus. Der Tag war schön, die Fahne der Vereinigten Staaten mit ihren 33 Sternen (ein Stern für jeden Staat in der Union) wehte vom Capitol herab, wie dieß während der Sitzung des Congresses gebräuchlich ist. Es sah recht festlich aus. Der Senat, der in einer großen, durch hohe Fenster, sämmtlich auf dem einen Halbtheil des Saales beleuchteten Rotunde sitzt, macht einen guten und klaren Eindruck. Die Senatoren sind meistens schöne Gestalten mit theilweise eigentümlichen Physiognomien, und die Haltung des ganzen Collegiums ist ruhig und würdig, was inzwischen nicht verhindert,

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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Zweiter Band. Franckh, Stuttgart 1854, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Heimath_in_der_neuen_Welt,_Zweiter_Band.djvu/67&oldid=- (Version vom 4.8.2020)