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„Brrrr,“ sagte Mrs. Glassy, und schüttelte sich bei dem Gedanken.

„Ja Kinder,“ meinte Mr. Weppel, als er jetzt aufstand und an’s Fenster trat, um hinaus auf die menschenleere Straße zu sehen – „was Besonderes ist hier nicht weiter zu bekommen, und da will ich denn lieber zu Hause gehen – meine Alte möchte doch sonst brummen.“

„Wie viel Uhr hat’s denn?“ frug Jim – „es muß ja noch früh sein.“

„Es ist gerade neun vorbei,“ sagte der Schullehrer, „der Mond drückt sich auch da drüben in’s Nest – Morgen muß ich um sieben wieder auf den Beinen sein und Schule geben – also gute Nacht meine Herrn.“

„Wartet Weppel,“ rief Shark, während er aufstand und nach seinem eignen Hute griff – „ich gehe mit – ich muß so ein Bischen in’s Freie, habe in der Stubenluft ordentlich Kopfweh bekommen. Aber wer klopft da draußen – ist denn zugeschlossen?“

Die Thüre war inwendig eingeklinkt und Mrs. Glassy öffnete sie schnell, hätte aber fast einen lauten Angstschrei ausgestoßen, als plötzlich, halbgebückt, den rabenschwarzen runden Wollkopf entblößt, ein kleiner, etwa zwölfjähriger Negerknabe in’s Zimmer glitt, der, augenscheinliche Angst in den dunklen Zügen, die Männer der Reihe nach ansah, und nicht zu wissen schien, ob er mit der Sprache heraus sollte.

„Jesus im Himmel!“ sagte Mrs. Glassy, indem sie überrascht einen Schritt zurücktrat, „habe ich doch wahrhaftig geglaubt, es wäre ein Indianer, der da den Kopf zur Thüre herein streckte. Was willst du denn noch so spät, Sip? schickt dich dein Master?“

Sip war ein freier Negerknabe, der sich bei dem Baptistenprediger vermiethet hatte, und auch dann und wann, besonders wenn sein Herr nach irgend einem benachbarten Flecken zum Predigen gegangen war, allerhand kleine Aufträge und Wege für das Wirthshaus besorgte, wo er sich nur zu gern mit einem paar Centen und einem Schluck Whiskey dafür belohnen ließ. – Jetzt verrieth sein ganzes Wesen aber mehr Furcht und Besorgniß, und mit leiser, bebender Stimme stotterte er:

„Ne – ne – nein, Missus – Ma – Massa nicht, a – aber – ich ha – habe wa – wa – was gehört –“

„Du hast was gehört?“

„Ja – Mi – Missus“ fuhr der Kleine ängstlich fort – „w – w – wie ich durch Ma – Ma – Massa Glassys Me – Melonengarten ging –“

„Sirrah du Schuft,“ unterbrach ihn hier Mr. Glassy entrüstet – „was hast du in Ma – Ma – Massa Glassys Melonengarten zu suchen? Hab ich dir kleinen schwarzen Hallunken nicht verboten, meine Melonen auch nur über die Fenz herüber anzusehen?“

„Aber so laßt ihn doch nur erst erzählen, was er gesehen hat?“ lachte Weppel – „der arme Bursche bringt ja sonst keine Sylbe mehr vor Angst und Stottern heraus.“ Sip schien auch wirklich dadurch, daß er sich hier so urplötzlich selbst verrathen hatte, ganz consternirt zu sein, und stotterte eine solche Menge wirres Zeug hervor, daß ihn Mrs. Glassy erst wieder beruhigen mußte, bis er sich nur wenigstens in so weit verständlich machen konnte, daß sie begriffen, was er eigentlich wolle.

Der Inhalt seiner Mittheilung bezog sich übrigens näher auf ihr kaum unterbrochenes Gespräch, als sie im Anfang vermuthet, denn Sip erzählte ihnen jetzt, daß er durch eben den fraglichen Melonengarten, aber blos durchgegangen sei, um schneller nach Waterton zu kommen, als er dicht an der Fenz hin zwei Männer gesehen habe, von denen der Eine eine Flinte, der andere aber Hacken und Spaten getragen. Nicht weit von ihm seien sie eine Weile stehen geblieben und er hätte deutlich die Stimme des kleinen irischen Doktors erkennen können, der mit seinem Diener davon gesprochen, den todten Indianer in einen Sack zu stecken und zu Hause zu tragen.

Sip war eben deßhalb nur so erschreckt über das Ganze, weil er seinen eigenen Master schon vor dem Begräbniß des Indianers sagen gehört, sie dürften es unmöglich wagen, die Rache der noch in der Gegend umherstreifenden Indianer zu erwecken, denn solche Menschen, die Nichts weiter zu verlieren hätten, und dabei vielleicht noch gar eine gerechte Vergeltung für erlittene Unbill auszuüben glaubten, seien zu Allem fähig und würden die Weißen nachher ruhig todtschlagen, das, was sie besäßen, rauben, und die Neger – eine Hauptsache für Sip, in Gefangenschaft schleppen.

So unausführbar nun auch das Letztere gewesen wäre, da die Indianer, nach einem ausgeführten Gewaltstreich, nur nach Canada hoffen durften zu entkommen, so glaubte doch Sip, mit der Geographie des Landes wenig bekannt, seine Existenz auf das Aeußerste gefährdet, und bat jetzt die Männer mit thränenden Augen, sie möchten doch nur um Gotteswillen nicht zugeben, daß die bösen Menschen ihr Vorhaben ausführten.

„Hm,“ sagte nach einer Pause Weppel, als Sip geendet und schüchtern in eine Ecke zurückgetreten war – „der verwünschte kleine Doktor wird uns am Ende noch zu schaffen machen.“

„Ei potz Hammer und Zangen,“ rief Josy – „wir wollen ihm nach – wer fürchtet sich denn vor seiner alten Muskete, die nie im Leben losgeht, und mit der er oft Stundenlang zwischen den Eichhörnchen draußen herumschnappt. Wir wollen doch einmal sehen, ob der Fremde hier nach Waterton gekommen sein soll, um uns hier, wider Willen, in Gefahr von Leib und Leben zu bringen.“

„Nein, das seh’ ich auch nicht ein!“ sagte Weppel – „er hat bei uns um den Leichnam angehalten – er ist ihm abgeschlagen, und wenn er ihn jetzt stehlen will, so brauchen wir das nicht zu leiden.“

„Leiden?“ donnerte der kräftige Schmied dazwischen – „der Teufel brauchts zu leiden, aber wir nicht – hol’ doch den ganzen Irländer der Böse – mag er zu seinem eigenen Land zurückgehen, wo’s keine Frösche und Schlangen giebt, wenn er aber hier leben will, so soll er sich auch den Gesetzen des Landes fügen, oder ich will ihn mit ein paar Hämmern bekannt machen, zu denen er lieber Alles in der Welt, als zum zweiten Mal den Ambos abgeben sollte. Kommt, wir wollen

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Friedrich Gerstäcker: Die Leichenräuber. Braun & Schneider, München 1846, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leichenr%C3%A4uber-Gerstaecker-1846.djvu/6&oldid=- (Version vom 31.7.2018)