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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

jetzt nachläßig, indem er sich zum Einseifen setzte, hinwarf: „So gibt es, wie ich aus Ihrem Schilde ersehe, doch noch Kabyse in Seldwyla?“ – „Ich bin der Letzte meines Geschlechts“, erwiderte der Barbier nicht ohne Würde, „doch warum frugen Sie das, wenn ich fragen darf?“ Der Fremde schwieg jedoch, bis er barbiert und gesäubert, und erst als Alles beendigt und der Ehrensold entrichtet war, fuhr er fort: „In Augsburg kannte ich einen alten reichen Kauz, welcher öfter versicherte, seine Großmutter sei eine geborene Kabis von Seldwyla in der Schweiz gewesen, und es nehme ihn höchlich wunder, ob da noch Leute dieses Geschlechtes lebten.“

Hierauf entfernte sich der Mann.

Hans Kohlköpfle dachte nach und dachte nach und kam in eine große Aufregung, als er sich endlich dunkel erinnerte, daß eine Vorfahrin von ihm sich wirklich vor langen Jahren nach Deutschland verheirathet haben sollte, die seither verschollen war. Ein rührendes Familiengefühl erwachte plötzlich in ihm, ein romantisches Interesse für Stammbäume, und es ward ihm bange, ob der Gereiste auch wieder kommen würde. Nach der Art seines Bartwuchses mußte er in zwei Tagen wieder erscheinen. In der That kam der Mann pünktlich um diese Zeit. John seifte ihn ein und schabte ihn beinahe zitternd vor

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/104&oldid=- (Version vom 31.7.2018)