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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

zu verschweigen. Sie ging also hin und schrieb den Brief ihres Mannes ab, und zwar dergestalt, daß sie einige Worte veränderte oder hinzusetzte, als ob eine Frau an einen Mann schreiben würde. Dann faltete sie das Papier zierlich zusammen und versiegelte es, ohne aber eine Adresse darauf zu setzen.

Dann ging sie zur Abendzeit wieder in den Garten, als Wilhelm eben seine paar Blümchen begoß, nahe der Hecke. Sie trat so dicht davor, als sie konnte, und rief ihn leise beim Namen. Zitternd und verstohlen zeigte sie ihm das Briefchen, als er aufblickte, und fragte, indem sie einen ganz seltsam sonnigen Blick hinüber schoß: Ob er schweigsam sein könne? Diesmal vergaß er, die Augen niederzuschlagen, lachte sie unbewußt vielmehr an wie ein halbjähriges Kind, welchem man ein glänzendes Ding zeigt, und war im Begriff, indem er die Gießkanne fallen ließ, mit den Händen nach ihrem Kopfe zu fahren, um ihn auch nach dem Munde zu führen, wie es die Kinder machen, die den Raum noch nicht zu beurtheilen wissen. Doch antwortete er nicht, bis sie ihn nochmals gefragt hatte, worauf er ernsthaft nickte. „So nehmt das Briefchen hier, wenn es Niemand sieht, und legt mir eine hübsche passende Antwort dafür hin! Es handelt sich um einen Scherz

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/176&oldid=- (Version vom 31.7.2018)