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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

Wie er so dasaß, regte sich’s in der kleinen Stube, die Thür that sich auf, und der Eigenthümer des Weinberges trat heraus und lud Wilhelm ein, ins Innere zu kommen und mit ihm gemeinschaftlich den Regen abzuwarten. Es stand eine Flasche mit Kirschgeist auf dem Tisch; der Mann holte noch ein Gläschen aus einem Wandschränkchen und füllte es für seinen Gast. „Brot habe ich keines hier oben“, sagte er, „doch wollen wir eine Pfeife zusammen rauchen!“ Er holte also aus dem Schränklein zwei neue lange Tonpfeifen nebst gutem Knaster; denn es war bei den Männern von Seldwyla, da ihnen die Cigarren verleidet waren, soeben Mode geworden, wieder würdevoll aus alterthümlichen Thonpfeifen zu rauchen, wie holländische Kaufherren.

Dieser Seldwyler, obgleich er ein Tuchscherer war, hatte den Einfall bekommen, Landwirthschaft zu treiben, weil deren Erzeugnisse hoch im Preise standen und die Betreibung zahlreiche Spaziergänge veranlaßte. Der Weinberg bildete mit mehreren großen Wiesen und einigen Bergäckern eine ehemalige Staatsdomäne, welche der Tuchscherer gekauft, und er war jetzt hinaufgestiegen, um den Zustand der Reben zu untersuchen, weil die Frühlingsarbeit in denselben beginnen sollte. Er fragte Wilhelm, wo er hin wolle, was er im Sinne habe; denn er wußte noch nichts

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/222&oldid=- (Version vom 31.7.2018)