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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

und unter den Kleinen eine große Anhängerschaft, die ihn an schönen Sonntagen manchmal in ganzen Schaaren besuchte und ihm kindliche Geschenke brachte, z.B. jedes einen schönen Apfel, so daß alle zusammen ein Körbchen voll gaben, oder jedes zehn Nüsse, so daß sich eine Lade damit füllte. Sie mußten dann singen, und er geleitete sie eine Strecke weit heimwärts.

Von diesen Thaten hörte Frau Gritli häufig erzählen, und sie nahm lebendigen Antheil, ohne es merken zu lassen. Sie war sehr neugierig und wünschte eifrig, seine Wirthschaft selbst einmal zu sehen und ihn sprechen zu hören. Als eine auswärtige vertraute Freundin sie für einige Zeit besuchte, um ihr die Tage verbringen zu helfen, beschlossen die Beiden, zu dem Einsiedel zu gehen. Sie verkleideten sich in junge Bäuerinnen, färbten ihre Gesichter mit vieler Kunst und verhüllten überdies die Köpfe mit großen Tüchern. So machten sie sich an einem hellen Wintermorgen auf den Weg und bestiegen den Berg, der in seiner weißen Decke blendend vom blauen Himmel abstach. Als sie vor dem Rebhäuschen anlangten, standen sie still und betrachteten es neugierig und mit erstaunten Blicken. Denn es glitzerte und leuchtete wie lauter Kristall und Silber. Vom Dache hingen ringsherum große Eiszacken nieder mit feinen

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/238&oldid=- (Version vom 31.7.2018)