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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

Lachend erwiderte Ännchen: „Da kann ich nicht helfen, meine Liebe! Ich muß jetzt wieder zu meinem Mann; auch habe ich doch nicht Lust, durch diesen Schnee öfter in die Wildemannshütte zu klettern, so hübsch eingefroren sie auch ist! Also Geduld! sobald die Veilchen blühen, werde ich wieder kommen und Deine Bergamsel probiren, aber auf deine Gefahr hin!“

Gritli fügte sich darein; sie verbrachte den Rest des Winters in größter Stille; aber der Schnee schien ihr nicht weichen zu wollen und sie schwankte manchmal, ob sie die Probe überhaupt anstellen und nicht lieber die Sache gleich zu Ende führen wolle. Da kam endlich der gewaltige Südwind und goß seine warmen Regenfluthen schief über Berg und Thal hin. In eilender Flucht schmolzen die Schneemassen, und Wasser sprangen von allen Abhängen, lachend, redend und singend mit tausend Zungen. Gritli lauschte dem Klingen, als ob es ein Hochzeitsgeläute wäre. Sobald die nächste Wiese trocken war, lief sie hinaus, um nach den Veilchen zu sehen; sie fand keines, dafür aber einige Schneeglöckchen, und als sie zurückkam, war dennoch die Freundin angekommen mit einem großen Koffer, worin sie das nötige Handwerkszeug für ihr Vorhaben mitbrachte.

Es war die vollständige stattliche Sonntagstracht

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/244&oldid=- (Version vom 31.7.2018)