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Seite:Die Leute von Seldwyla 3-4.pdf/258

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

betroffen und verlegen, und als er sich genauer erklärt, sagte sie kalt: „Ach, das war nur eine Neckerei von mir! Ich kenne die Frau gar nicht!“ Diese schnöde und kühle Antwort gefiel ihm nicht und kränkte ihn; unwillkürlich machte er sich frei und trat ans Fenster, öffnete es und guckte verstimmt hinaus in die Nacht.

Der gestirnte Himmel spannte sich über das Thal, in welchem die Lichter von Seldwyla in einem dichten Haufen glänzten; darüber vergaß er, was in der Stube war, seine Gedanken irrten um die dunkle Stadtmauer in der Tiefe, und eben that er einen ordentlichen Seufzer, als dicht unter seinem Fenster eine weibliche Gestalt vorüberging mit den Worten: „Gute Nacht, Herr Hexenmeister!“ Es war Frau Aennchen, welche unbemerkt aus dem Häuschen gehuscht war und lachend den Berg hinuntersprang. Er machte eine Bewegung, und eine Stimme rief in ihm: Laß sie nicht entwischen! Aber dennoch wich er nicht von der Stelle, und seine Sehnsucht flog über die spukhafte Bäuerin hinweg in das Thal, wo Gritli war. Alle Geister der Leidenschaft waren nun aufgeweckt und taumelten wie trunken in seinem Herzen umher, und er verbrachte die Nacht schlaflos und aufgeregt.

„Dem wollen wir abhelfen!“ rief er, als die Sonne schon hoch am Himmel stand und er aus dem unruhigen

Empfohlene Zitierweise:
Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/258&oldid=- (Version vom 31.7.2018)