Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage | |
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langsamer Bewegung; endlich schossen sie zusammen wie zwei Hölzchen, die auf einem Wasserspiegel dahintreiben, und stehenden Fußes gingen sie eilig neben einander fort. „Sie wollen doch nicht verreisen, weil Sie Tasche und Stab tragen?“ sagte Gritli. Wilhelm erwiderte, er wolle allerdings fortgehen, und als sie fragte, warum und wohin? erzählte er von Geschäften, von schönem Wetter, von diesem und jenem, und Gritli flocht ebenso inhaltlose Dinge dazwischen, aber Alles in tiefster Bewegung. Sie gingen rasch, athmeten schnell und sahen sich abwechselnd an; so waren sie, ohne es zu sehen, auf einen Waldpfad gerathen und gingen schon tief in den Bäumen, als Gritli endlich rief: „Wo sind wir denn hingekommen? Ist das Ihr Weg?“ „Meiner?“ sagte Wilhelm ernsthaft, „nein!“ – „Nun, das ist gut!“ meinte sie lachend, „so müssen wir nur sehen, daß wir bald wieder hinauskommen!“ Er sagte: „Da wollen wir hier quer durchgehen!“ und wanderte auf einem schmalen Seitenpfade voran durch den Forst. Nach einer Weile kamen sie auf eine kleine Lichtung, die von hohen Föhren eingeschlossen war, deren Kronen sich in einander bauten. Unter den Föhren lagen große röthliche Steine übereinander, denn es war das Grab des keltischen Mannes, und rings herum war der Platz von den weißen Sternen der Anemonen bedeckt.
Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/260&oldid=- (Version vom 31.7.2018)