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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

vor Gericht von mir sagten, nicht gut und auch undankbar; denn ich habe Ihre Schönheit und Lieblichkeit so hochgehalten, daß ich mir nicht anders zu helfen wußte, als an einen Gott zu glauben, der Sie geschaffen und mir geschenkt habe, was freilich ein eitler und eigennütziger Gedanke war!“

Eine prächtige Röthe überflog Gritlis Gesicht. „Ich war nicht undankbar!“ sagte sie, indem sie die Handschuhe auszog und ihre Fingerspitzen betrachtete, „als ich jene Worte sprach, dachte ich –“, sie stockte, und Wilhelm sagte mit fast tonloser Stimme: „Nun, was dachten Sie?“ „Ich dachte“, flüsterte sie, die Augen niederschlagend, „nun, ich dachte in meinem Herzen, daß dafür meine Person, wie sie ist, Ihnen für immer angehören sollte, wenn die Zeit gekommen sei! Und da bin ich nun!“

Zugleich reichte sie beide Hände hin und schlug die Augen zu ihm auf. Es war kein so blitzender Blick, wie sie ihm einst über die Hecke zugeworfen, aber doch viel tiefer und klarer. Er ergriff ihre Hände, sie stand auf; doch wußte der gute Pascha, der in seinen Gedanken eine ganze Stadt voll Weiber beherrscht hatte, mit dieser einzigen sogleich nichts anzufangen, als daß er wie betäubt mit ihr auf der Lichtung hin und her ging und sie anlachte, ohne ihre Hand loszulassen. Endlich setzten sie den Weg

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/263&oldid=- (Version vom 31.7.2018)