Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage | |
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wurde ein freundnachbarliches Benehmen verheißen; zum Beginn desselben versprachen die Seldwyler den eisernen Topf auszuliefern und für immer abzuschaffen, und die Ruechensteiner sollten dagegen auf jedes eigenmächtige Strafverfahren gegen spazierende Seldwyler feierlich Verzicht leisten, sowie die diesfälligen Rechte überhaupt sorgfältig ausgeschieden werden.
Zur Bestätigung solchen Übereinkommens wurde
ein Tag angesetzt und die Berglichtung zur Zusammenkunft
gewählt, auf welcher das Haupttreffen stattgefunden
hatte. Von Ruechenstein fanden sich einige
jüngere Rathsherren ein; denn die Alten brachten es
nicht über sich, in Minne mit den Leuten von Seldwyla
zu verkehren. Diese erschienen auch wirklich in
zahlreicher Abordnung, brachten den „freundlichen Nachbar“
mit lustigem Aufwand und führten ein Fäßchen
ihres ältesten Stadtweines mit nebst einigen schönen
silbernen und vergoldeten Ehrengeschirren. Damit
betörten sie denn die jungen Ruechensteiner Herren,
denen ein ungewohnter Sonnenblick aufging, so glücklich,
daß sie sich verleiten ließen, statt unverweilt
heimzukehren, mit den Verführern nach Seldwyla zu
gehen. Dort wurden sie auf das Rathhaus geleitet,
wo ein gehöriger Schmaus bereit war; schöne Frauen
und Jungfrauen fanden sich ein, immer mehrere
Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/285&oldid=- (Version vom 31.7.2018)