Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage | |
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entführt hätte. Sie stellten sich plötzlich, als ob sie von je gewußt hätten, daß die Kanne von Silber sei und als ob sie immer in ihrem Hause dafür gegolten. Mit den tollsten Verwünschungen klagten sie den Knaben des schweren Diebstahls an, und während der Arglose noch immer mit seinen Pfeilen beschäftigt war und mit jedem Schusse das Ziel besser traf, zogen schon zwei Haufen von Häschern aus, den Entflohenen zu suchen; an der Spitze des einen zog der Bettelvogt einher, vor dem andern die Frau, die es sich nicht nehmen ließ. So stießen sie von verschiedenen Seiten bald auf den Schützen, welcher rüstig im Mondlicht handtirte und wie aus einem Traum erwachte, als er unversehens umringt war. Nun fiel ihm erst seine Versäumniß ein und zugleich der Mangel des Kännchens. Aber er glaubte, einen guten Handel gemacht zu haben, reichte auch lächelnd dem Bettelvogt die Armbrust hin, um ihn zu begütigen. Nichts desto weniger wurde er auf der Stelle gebunden, in’s Gefängniß geschleppt, verhört und er gab den ganzen Hergang zu, ohne sich im Mindesten vertheidigen zu können.
Dies arme Kind wurde nun zum Galgen verurtheilt und die Hinrichtung auf den Tag verlegt, da die Seldwyler zum Besuch kommen wollten.
Sie erschienen denn auch in stattlichem Zuge, in
Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/291&oldid=- (Version vom 31.7.2018)