Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage | |
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leuchtenden Farben und ihre Stadttrompeter an der Spitze; übrigens waren sie alle mit guten Schwertern und Dolchen bewaffnet, führten aber nichts desto minder ein Dutzend ihrer kecksten jungen Frauen, reich geschmückt, in der Mitte, und sogar einige Kinder in den Stadtfarben, welche Geschenke trugen. Die jungen Rathsherren von Ruechenstein, ihre Freunde, ritten ihnen eine Strecke vor das Thor entgegen, bewillkommten sie und führten sie etwas kleinmüthig in die Stadt. Das Thor war möglichst abgekratzt, frisch übertünkt und mit etwas magerem Kranzwerk behangen. Innerhalb des Thores aber standen die sämmtlichen Stadtknechte aufgestellt in voller Rüstung, welche rasselnd und klirrend den Zug durch die schattig dunklen Straßen begleiteten. Die Leute guckten stumm, aber neugierig aus den Fenstern, wie wenn ein Meerwunder sich durch die Gasse gewälzt hätte, und wo ein Seldwyler lustig hinaufsah und grüßte, da fuhren die Weiber scheu mit den Köpfen zurück. Ihre Männer hingegen drückten sich seltsam die Nasenspitzen an den grünlichen Glasscheiben platt, um die ungewohnte Erscheinung bloßer Frauenhälse zu beobachten.
Also erreichte der Zug die große Rathsstube. Die war reich, aber düster anzusehen, Wände und Decke ganz mit schwarz gefärbtem Eichenholz getäfert mit etwas
Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/292&oldid=- (Version vom 31.7.2018)