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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

hinaus. Geh', versöhne Dich mit ihr und mach den Trotzkopf wieder gut! sagte die Mutter; Du bist ihr guter Engel!

Dietegen suchte sie und fand sie hinter dem Hause unter einem Hollunderbaum; sie weinte wild und krampfhaft, zerriß ihre Halsschnur, indem sie dieselbe zusammenzog, als ob sie sich erdrosseln wollte, und zerstampfte die zerstreuten Glasperlen auf dem Boden. Als Dietegen sich ihr näherte und ihre Hände ergreifen wollte, rief sie schluchzend: Niemand darf Dich küssen, als ich! denn Du gehörst mir allein, Du bist mein Eigenthum, ich allein habe Dich aus dem Sarge befreit, in dem Du auf ewig geblieben wärest!


Da der Knabe gar stattlich heranwuchs, erklärte der Forstmeister eines Tages, daß es nun Zeit für ihn sei, mit in den Wald zu gehen und die Jägerkunst zu lernen. So wurde er von Küngolts Seite genommen und war die meisten Tage vom Morgengrauen bis zur sinkenden Nacht mit den Männern in den Wäldern, auf Moor und Haide. Erst jetzt reckten sich seine Glieder aus, daß es eine Freude war; rasch und gelenksam wie ein Hirsch gehorchte er auf den Wink und lief zur Stelle, wohin man ihn schickte. Schweigsam und gelehrig war er überall zur Hand, trug die Geräthe, half die Netze

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/314&oldid=- (Version vom 31.7.2018)