Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage | |
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ihn auch nicht mehr, als der Ring sich wieder lös'te. Küngolt aber ging von ihm wie von einer Sache, die Einem zu eigen gehört und deren man sicher ist; nur zuweilen warf sie einen Blick über ihn, und wenn er etwa in die Nähe anderer Mädchen gerieth, war sie unversehens da und stand dazwischen.
Dergestalt herrschte ein glückseliges Leben bis in die Nacht; die Jungen wurden so munter und flügge wie die jungen Holztauben und thaten es bald dem lustigen Forstmeister zuvor, und dieser spiegelte sich wohlgemuth in dem fröhlichen Nachwuchs, gab aber vor Allen seiner Frau die Ehre, deren Wohlgefallen ihn höchlich zu erquicken schien, besonders da sie nun anfing, ihm auch allerlei lustige Spitznamen anzuhängen. So ehrbar nun all' die Lustbarkeit war, so hätte sie doch der Bürger einer andern Stadt vielleicht um ein kleines Maß zu warm befunden; der Würzwein, welchen die Leutchen tranken, war untadelhaft gemischt, aber in ihnen selbst war ein klein Bischen zu viel Zucker und in ihrer Freude um ein Weniges zu viel Süßigkeit. Die Hände der jungen Mädchen lagen fortwährend auf den Schultern der Jünglinge und das Völkchen nahm sich auf den Schooß und küßte sich gelegentlich, ohne ein Pfänderspiel vorzuschützen, wie die heutigen Philister. Kurz, es fehlte ihnen das Glas und der Kryftall einer gewissen
Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/320&oldid=- (Version vom 31.7.2018)