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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

herrisch bei den Locken, küßte ihn, und nachdem sie noch einen Blick voll Zorn auf ihn geworfen, ging sie so rasch und trotzig hinweg, daß der goldene Flug ihres Ringelhaares in der Nachtluft wehte und Dietegens Gesicht im Vorübergehen streifte. Jetzt glühte auch in ihm ein leidenschaftliches Wesen an; er verließ bald nach ihr den Kreis und suchte die wilde Küngolt schnell und schneller, bis er sie auf der andern Seite des Hauses fand, wie sie träumerisch am Brunnen saß und mit der Bernsteinkette an ihrem Halse spielte. Dort ergriff er ihre beiden Hände, preßte sie in seine rechte Hand, faßte mit der linken ihre Schulter, daß das glänzende, noch unvollkommene Gebilde unter seiner festen Hand zusammenzuckte, und sagte hastig: Höre, Du Kind! Ich lasse nicht mit mir spielen! Von heut an bist Du so gut mein Eigenthum, wie ich das Deinige, und kein anderer Mann soll Dich lebendig bekommen! Daran denke, wenn Du einst groß genug bist!

O Du großer und alter Mann! sagte Küngolt leise lächelnd, indem sie etwas erblaßte: Du bist mein und nicht ich Dein! Aber das hat Dich nicht zu kümmern; denn ich werde Dich wohl niemals fahren lassen!

Damit stand sie auf und ging, ohne den Gespielen weiter anzusehen, um das Haus herum.

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/325&oldid=- (Version vom 31.7.2018)