Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage | |
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Waffen nach Hause. Da er quer über den Rasen daher ging, hörten ihn die Kosenden nicht und er schaute in höchster Betroffenheit, was er da vor sich sah. Beschämt und erröthend zog er sich so still als möglich zurück und umging das Haus, um die Hintere Thür zu gewinnen. Dort aber hörte er mit einem Mal vom Walde her ein lautes Schreien und Rufen, wie wenn Menschen in Streit oder Gefahr wären. Ohne Zögern ging Dietegen dem Lärmen nach. Bald fand er die so fröhlich ausgezogene Gesellschaft in schrecklichem Zustande. Von Wein und allgemeiner Eifersucht toll geworden, waren die jungen Männer auf dem Rückwege vom Johannisfeuer, als sie mit den Weibern vermischt gingen, hinter einander gerathen und hatten sich mit ihren Dolchen angegriffen, so daß mehr als einer blutete. Gerade aber, als Dietegen ankam, hatte der krumme Rathsschreiber wüthend den jungen Schultheißen mit seinem Degen niedergestochen, der, gleichfalls das Schwert in der Hand, im grünen Kraute lag und eben den Geist aufgab, während die übrigen sich schön paarweise noch an den Gurgeln gepackt hielten und die Weiber entsetzt um Hülfe schrieen, mit Ausnahme Küngolts, die todtenblaß aber neugierig und mit offenem Munde in das schreckhafte Schauspiel starrte.
„Küngolt, was ist das?" sagte Dietegen zu ihr,
Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/344&oldid=- (Version vom 31.7.2018)