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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

junge Männerwelt unter sich trieb, um ein Aufsehen zu erregen. Und es gab genug zu schauen und zu lachen, da Laune und Geschicklichkeit der Einzelnen hundert kleine artige Erfindungen und Stücklein hervorbrachten, wobei das Naivste, mit guter Art entstanden, in der allgemeinen glücklichen Stimmung den herzlichsten Beifall weckte. Selbst ein unvermuthet geschlagener Purzelbaum fand seine Gönner und sogar der unglückliche Virtuose, welcher auf seinem Frisirkamm allen Ernstes eine gefühlvolle Weise hatte blasen wollen und daran scheiterte, freute sich über die ungetrübte Heiterkeit, die er erweckt, und that den ihm aufgesetzten Strohkranz nicht mehr vom Kopfe.

Nur Jukundus fühlte sich etwas vereinsamt in dem Treiben, weil er Justinen gar zu lange nicht mehr erblickte, an die er schon ein kleines Anrecht zu haben glaubte, wenigstens für diesen letzten Tag. Indessen fand sich eine holde Erlösung, da unversehens die Jungfrau dicht bei ihm stand, ohne daß er wußte, wo sie her kam, und ihn dem Vater und den Brüdern vorstellte als den Bannerherrn des erstgekrönten Vereines. Er wurde von den Männern höflich und auch freundlich gegrüßt und willkommen geheißen, aber nicht ohne jene feste kühle Haltung, welche so reiche Arbeitsherren einem nichts oder wenig besitzenden Seldwyler gegenüber bewahren mußten, insofern er

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/391&oldid=- (Version vom 31.7.2018)