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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

Die plötzliche Glückseligkeit der beiden jungen Personen, die sich beim unverhofften Wiedersehen auf ihren Gesichtern zeigte, die Gleichartigkeit derselben und das eigenthümliche kindliche Lächeln, das sie begleitete, gingen so über alle Vorstellung und Erwartung selbst der Mutter Meyenthal, daß von Kunst und Durchspielen einer Rolle bei ihr keine Rede mehr sein konnte und sie nur froh war, so ruhig und besonnen als möglich den Dingen zuzusehen.

Frau Gertrud aber wendete ganz erstaunt kein Auge von den Kindern und lenkte ihre Blicke immer von einem Gesichte auf das andere. Zuletzt legten sich aber die sanften Wellen der allgemeinen unversehenen Aufregung und es entspann sich ein höchst angenehmes Geschwätz und Gezwitscher, über welchem der Mond aufgieng, der in der Tiefe der Thäler verborgen gewesene Bäche und Weiher beglänzte, daß sie wie goldene Sterne heraufleuchteten.

Frau Gertrud Glor empfand eine Art von Wonne, wie wenn sie ein eigenes verschollenes Jugendglück neu erlebte, und nahm die Mama Meyenthal an den Arm, als auf dem Wege zum Kurhause die Kinder neben einander vorangingen und abwechselnd plauderten oder schwiegen. Frau Meyenthal ihrerseits war gerührt und betroffen von der Wichtigkeit der Thatsache und in beide Kinder gleichmäßig

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/401&oldid=- (Version vom 31.7.2018)