Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage | |
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herrschender Anschauung in solchen Sachen er Gefahr laufe, als Offizier unmöglich zu werden, sobald es ruchbar würde, daß er seine Duellangelegenheiten der Mutter anvertraue und ihre Weisungen befolge.
Da versank Herr Rudolf in neue Kümmerniß, denn es wollte ihm vernünftiger Maßen durchaus nicht einleuchten, warum er wegen solcher Dummheiten von Frau und Kindern wegsterben solle.
Jukundus befragte ihn jetzt um die eigentliche Natur des Streites, und was denn vorgefallen sei?
Rudolf hatte mit drei andern Kriegern eine Partie Karten gespielt. Nach Beendigung einer Tour, in welcher sein Partner nicht nach Rudolfs Wunsch ausgespielt hatte, ward der Verlauf, während die Karten neu gegeben wurden, kritisirt und zwar mit den Conjugationen der gegenwärtigen Zeit. Ich spiele also dies, hieß es, und du jenes; nun muß er so spielen und nicht so, und ich werde hierauf zu ihm halten und das spielen, worauf du wieder jenes spielen wirst, das ist doch klar, wenn wir gewinnen wollen! Nein, das ist nicht klar, hatte Rudolfs Partner erwidert, sondern ich steche zunächst den Trumpf ab und spiele dann jenes!
„Dann spielst du wie ein Esel!" hatte Rudolf gerufen, worauf dann sogleich allgemeiner Aufbruch und am andern Morgen die Forderung erfolgt war
Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/406&oldid=- (Version vom 31.7.2018)