Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage | |
|
solchen Zierde. Allein er fand kein Gehör; gerade die Gesundheit des alten Riesen sollte ihn sein Leben kosten, weil es hieß, jetzt sei die rechte Zeit, den höchsten Ertrag zu erzielen; wenn der Stamm einmal erkrankt sei, sinke der Werth sofort um Vieles. Jukundus wandte sich an die Regierung, indem er ihr die Erhaltung einzelner schöner Bäume, wo solche sich finden mögen, als einen allgemeinen Grundsatz belieben wollte. Es wurde erwiedert, der Staat besitze wohl für Millionen Waldungen und könne diese nach Gutdünken vermehren, allein er besitze nicht einen Thaler und nicht die kleinste Befugniß, einen schlagfähigen Baum auf Gemeindeboden anzukaufen und stehen zu lassen.
Er sah wohl, daß man überall nicht zugänglich war für seinen Gedanken und daß er sich nur als Geschäftsmann bloß stellte und heimlich belächelt wurde. Da kaufte er selbst die Eiche und das Stück Boden, auf welchem sie stund, säuberte den Boden und stellte eine Bank unter den Baum, unter dem es eine schöne Fernsicht gab, und Jedermann lobte ihn nun für seine That und ließ sich den Anblick gefallen. Aber von diesem Augenblicke an suchte auch Jedermann, ihn zu benutzen und zu übervortheilen, wie einen großen Herrn, der keiner Schonung bedürfe.
Aus Widerwillen gegen die Baumschlächterei
Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/417&oldid=- (Version vom 31.7.2018)