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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

könnte. Das ist einem Theil von uns angeboren, dem Anderen nicht, ganz abgesehen von allen Lehren der Religion. Ja, die stärksten Glaubenseiferer und Fanatiker haben gewöhnlich gar keine Gottesfurcht, sonst würden sie nicht so leben und handeln, wie sie wirklich thun.

„Wie nun dieses Wissen Aller um Alles möglich und beschaffen ist, weiß ich nicht; aber ich glaube, es handelt sich um eine ungeheure Republik des Universums, welche nach einem einzigen und ewigen Gesetze lebt und in welcher schließlich Alles gemeinsam gewußt wird. Unsere heutigen kurzen Einblicke lassen eine solche Möglichkeit mehr ahnen als je; denn noch nie ist die innere Wahrheit des Wortes so fühlbar gewesen, das in diesem Buche hier steht: In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen!"

„Amen! sagte die Alte, die aufmerksam zugehört hatte; „das ist doch etwas und besser als gar nichts, was du da predigst. Lies nur fleißig in meiner Bibel, da wirst Du für deine Republik schon noch einen Bürgermeister bekommen!"

„Wohl möglich, erwiederte Jukundus lachend, daß zuweilen ein solcher gewählt wird und somit der Herrgott eine Art Wahlkönig ist!"

Die Alte lachte auch über diese Idee, indem sie rief: „So ein ordentlich angesehener Herr Weltammann!

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/433&oldid=- (Version vom 31.7.2018)