Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage | |
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zanken ja auch nicht um's klare Wasser, das Jedes trinkt, wann und wo es will!"
Dieses Wort nahm Justine wieder auf, als sie am Arme ihres Mannes die abendliche Höhe entlang wandelte, um auf einem entfernteren Wege hinunter zu gehen.
„Wir zanken nicht um's Wasser! Aber wir müssen sorgen, daß wir auch nie um's liebe Brod streiten müssen, weder unter uns, noch mit andern!" sagte sie und erzählte ihm, wie die Familie und sie selbst wünschen, daß er nun sich in fester Weise in dem großen Gewerbs- und Handelsgeschäfte des Hauses bethätigen und Stellung nehmen möchte. Die ländliche Beschäftigung bei den Alten auf dem Berge passe auf die Dauer nicht recht für ihn und führe zu nichts, während unten Alle bereit seien, ihn in die Geschäfte einzuführen und Arbeit wie Gewinn redlich mit ihm zu theilen.
Jukundus fühlte die Meinung wohl, die es hiebei hatte; man wollte Niemand in der Familie dulden, der nicht reich zu werden fähig und willig war, und da er im Grunde keine bessere Meinung verlangen konnte, so ergab er sich ohne weiteres Zögern darein, obgleich mit geheimem Mißtrauen gegen sich selbst. Er sagte also der Justine, er werde gleich am nächsten Morgen, da es Montag sei, anfangen und einen vollen Wochenlohn zu verdienen suchen.
Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/435&oldid=- (Version vom 31.7.2018)