Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage | |
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So wurde er denn früh am andern Tage in die Schreibstuben und Arbeitsräume des Hauses eingeführt, um der Reihe nach die verschiedenen Zweige des Geschäftes kennen zu lernen und derselben Herr zu werden. Das Haus Gloor betrieb seit mehr als dreißig Jahren die Seidenweberei, welches Geschäft mit der Zeit zu bedeutendem Umfange gediehen war. In hundert ländlichen Wohnungen an den sonnigen Berglehnen, hinter klaren Fenstern, standen die Webstühle der Mädchen und jüngeren Frauen der Bevölkerung, welche die glänzenden Stoffstücke mit leichter fleißiger Hand webten und so selber allwärts den Grund zu einem kleineren Wohlstande legten. Auf allen Wegen eilten die rüstigen Gestalten mit den Weberbäumen auf der Schulter heran, um das fertige Stück abzugeben und die Seide für ein neues Stück zu holen. In großen Säälen waren aber auch Maschinen aufgestellt, an welchen schwerere und reichere Stoffe verfertigt und männliche Arbeiter beschäftigt wurden.
Der Ankauf der rohen Seide, die Vorbereitung derselben durch die verschiedenen Stadien, die Beaufsichtigung und Beurtheilung der Arbeit, der Verkauf der gehäuften Vorräthe, der Ausblick in den allgemeinen Verkehr und die Berechnung des richtigen Augenblickes für jede Geschäftshandlung, endlich die
Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/436&oldid=- (Version vom 31.7.2018)