Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage | |
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müsse inzwischen einer doch darauf hoffen, so sei ihm das unbenommen; im Uebrigen aber sei die Unsterblichkeit jetzt schon und in jedem Augenblicke da. Sie bestehe in den unaufhörlichen Wirkungen, die aus jedem Athemzug in den andern folgen und in denen die Gewähr ewiger Fortdauer liege. Seinen Schilderungen konnte dann die unvermählt gebliebene Greisin entnehmen, daß wir in unsern Kindern und Enkeln fortleben; der Arme im Geiste getröstete sich der unsterblichen Fortwirkung seiner Gedanken und Werke; der durch haushälterischen und sparsamen Sinn oft Geplagte freute sich, daß nicht ein Atom seines Leiblichen wirklich verloren gehe, sondern in dem Haushalte der Natur in ewig wechselnder Gestaltung zu Ehren gezogen bleiben und verschwenderisch zur Hervorbringung von tausend neuen Keimen beitragen werde. Der Mühselige und Beladene endlich durfte auf ein durchgreifendes Ausruhen von aller Beschwerde hoffen.
Das Gebäude seiner Rede tapezierte er schließlich mit tausend Verslein und Bildern aus den Dichtern aller Zeiten und Völker auf das Schönste aus, wie nie zuvor gesehen worden; es war wie in dem Stübchen eines Zolleinnehmers, der die Armuth seiner vier Wände mit Bildausschnitten und Fragmenten, mit Briefköpfen und Wechselvignetten aus allen Ecken der
Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/446&oldid=- (Version vom 31.7.2018)