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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

Hierfür war vorzüglich Justine gewonnen worden, welche, um den lauen Sinn ihres Mannes so viel als möglich gut zu machen, dem wunderlichen Reformwerke doppelt zugethan war und sowohl mit eigenen reichen Gaben, als mit dem eifrigen Sammeln fremder Spenden voranging und kräftig eingriff.

Das sonnige, vom Sommergrün und den herein nickenden Blumen eingefaßte Weiß der Wände hatte zuerst einem bunten Anstrich gothischer Verzierung von dazu unkundiger Hand weichen müssen. Die Gewölbefelder der Decke wurden blau bemalt und mit goldenen Sternen besäet. Dann wurde für gemalte Fenster gesammelt und bald waren die lichten Bogen mit schwächlichen Evangelisten- und Apostelgestalten ausgefüllt, welche mit ihren, großen schwachgefärbten modernen Flächen keine tiefe Glut, sondern nur einen kränklichen Dunstschein hervorzubringen vermochten.

Dann mußte wieder ein gedeckter Altartisch und ein Altarbild her, damit der unmerkliche Kreislauf des Bilderdienstes wieder beginnen könne mit dem „ästhetischen Reizmittel", um unfehlbar dereinst bei dem wunderthätigen, blut- oder thränenschwitzenden Figurenwerk, ja bei dem Götzenbild schlechtweg zu endigen, um künftige Reformen nicht ohne Gegenstand zu lassen.

Endlich wurden die Abendmahlkelche von weißem

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/448&oldid=- (Version vom 31.7.2018)