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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

daß sie es ist, welche die Religion auf ihrem Wege mitgenommen und eine Strecke weit geführt hat!“

Der Pfarrer wurde ganz roth; er ertrug im Kreise seiner engsten Gemeinde solchen Widerspruch nicht leicht und sagte: „Nun, wir wollen die Sache nicht weiter verfolgen; Sie sind wohl in mehr als einer Beziehung ein Laie, sonst würde Ihnen bekannt sein, daß wir Theologen heut zu Tage manche Kreise des Wissens in unsere theologische Wissenschaft hereingezogen haben, die ihr sonst nicht verpflichtet waren und deren Uebersicht Ihnen in Ihrer Lebensstellung fehlt!”

Jukundus versetzte etwas hart: „Dieses Bedürfniß mögt Ihr Theologen fühlen; ich glaube aber nicht, daß Euere Theologie dadurch den Charakter einer lebendigen Wissenschaft wieder gewinnt, so wenig als die ehemalige Cabbalistik, die Alchymie oder die Astrologie noch eine solche genannt werden könnte!”

Hierdurch in seinem Innersten getroffen und beleidigt, rief der Geistliche: „Ihr Haß gegen uns macht Sie blind und thöricht! Aber es ist genug, wir stehen über Ihnen und Ihresgleichen, und Ihr werdet in Euerem verblendeten Dünkel die Köpfe an unserem festen Bau einrennen!”

„Immer gleich das Gefährlichste!” sagte Jukundus, der inzwischen ganz ruhig geworden war; „wir

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/458&oldid=- (Version vom 31.7.2018)