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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

weil ihr der gute Rathschlag und die üble Nachrede so wenig ausgehe, wie jener das Oel. Wenn man glaube, es sei gar nichts mehr über einen Menschen vorzubringen und nachzureden, so wisse diese Frau, die in einer entlegenen Hütte wohne, immer noch ein Tröpflein fetten Oeles hervorzupressen, denselben zu beschmutzen, und sie verstehe es, in wenig Tagen das Land mit einem Gerüchte anzufüllen.

Jukundus anerbot sich, die Mission zu übernehmen und zu dem alten Oelweib zu gehen, was ihm fröhlich gewährt wurde. Er ließ sich die Namen der Opfer, welche fallen sollten, deutlich vorsagen. Es betraf, soviel ihm bewußt war, rechtliche Leute, die noch nicht viel von sich reden gemacht, und er schrieb sie genau und sorgfältig in sein Taschenbuch.

Hierauf bestellte er eine neue Ladung guten Wein, um die Gesellschaft zu weiterer Redseligkeit anzufeuern, und lehnte sich seufzend zurück, um zuzuhören.

Allein die Herren waren jetzt der ernsteren Arbeit müde und wieder mehr zum Singen geneigt, und sie sangen mit hoher Stimme die ersten Verse aller ihnen bekannten Lieder.

Der Saal, in welchem sie sich befanden, war groß, aber sehr niedrig und mehr dunkel als hell, und seltsam verziert. Denn der Wirth hatte aus

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/478&oldid=- (Version vom 31.7.2018)