Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage | |
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Sie überlegte sich während des Gehens noch Alles, was sie von den Frauen wußte, und befreundete sich immer mehr mit dem gefaßten Vorsatze.
Die Mutter Ursula war als arme Dienstmagd in die Gegend gekommen und hatte still und brav ihrer Pflicht gelebt. Allein sie liebte damals, wie sie sagte, die Welt und gab einem Sohn wohlhabender Landleute, gerührt von seiner Gutmütigkeit und Herzenseinfalt, Gehör, also daß sie sich zusammenthaten, arm wie die Thierlein des Feldes, und ein Paar wurden. Denn der Mann wurde sofort von den Seinigen verstoßen und verlassen und sie gaben ihm nicht einmal einen leeren Holzkorb mit. Sie lebten nun kümmerlich als Tagelöhner in einer elenden entlegenen Hütte und waren verlassener, als alle Robinsone auf ihren Inseln. Sie lenkten mit ihrer Einfalt und Geduld alle Hartherzigkeit der Menschen auf sich, mitten in einer reichen und christlich milden Landschaft, wie der Magnet das Eisen; Alles, was von hochmüthigem Mißverstand ringsum vorhanden war, schien sich vereinigt gegen die Armen zu richten, so daß Einer den Andern am Helfen hinderte und sie noch dazu lachten; und Niemand wußte warum, wie es in der Welt so gehen kann.
Das Frauchen war aber immer noch von Weltlust erfüllt. Sie lockte eine dicke Bauernkatze, die in der
Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/502&oldid=- (Version vom 31.7.2018)