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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

Die Unholdin zischte die schöne und stattliche Justine an und fragte sie, indem sie sich aufrichtete, wohin sie wolle, was sie bei den Leuten zu thun habe; aber Justine faßte Muth und drang bei ihr vorbei durch die Finsterniß und stand plötzlich bei den friedlichen Frauen im Sonnenschein, das frische Grün vor den Augen.

„Ei wie schön ist es hier," rief sie, indem sie Korb und anderes abstellte, den Hut weglegte und sich setzte. Ursula und Agathe hingegen geriethen vom Erstaunen über die Ueberraschung in die herzlichste Freude hinein. Ursula saß gichtbrüchig in einem Lehnstuhle und konnte sich nicht erheben; Agathchen aber ließ ihr halbes Dutzend Häspelchen, die sich mit glänzend rother Seide in der Sonne drehten, stille stehen. Eine vornehme gelassene Herzlichkeit verklärte das bleiche Gesicht der Tochter, die doch keine vornehme Erziehung genossen hatte. Justine bemerkte, daß auch sie nicht ganz sicher auf den Füßen stand; Agathchen erklärte lächelnd, daß diese sie freilich etwas zu schmerzen anfingen und zuweilen ein bischen geschwollen würden. Aber sie klagte, so wenig wie die Mutter, mit einem einzigen Wörtchen. Vielmehr beschrieben sie mit unschuldiger Heiterkeit die schnurrige Hexe vor der Thüre, als Justine nach der unheimlichen Erscheinung fragte, und wie man Geduld mit der armen Creatur haben

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/514&oldid=- (Version vom 31.7.2018)