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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

müsse, welche von bösen Geistern bewohnt und gewiß leidend genug sei.

Wie erstaunten sie aber, als Justine ihre einfachen Geschenke hervorholte. Die Strümpfe hätten dem Agathchen nicht willkommener sein können; denn es gestand, daß es doch fast keine Zeit mehr finde zum Stricken, besonders seit die Augen des Nachts beim Lämpchen nicht mehr recht sehen wollten. Ihrerseits hatte die Mutter das Päcklein frischen Schnupftabak schon geöffnet und mit einer beinahe zu lebhaften Befriedigung ihr kleines Horndöschen damit gefüllt. Hier war der einzige Punkt, wo das Kind die Mutter ein wenig beherrschte, indem es ihr nicht ganz so viel von der schwärzlichen Weltlust zukommen ließ, wie sie vielleicht, im Rückfall in ihre Jugendsünden, zu verbrauchen im Stande gewesen wäre. Doch lächelte jetzt Agathchen selbst gegen Justine hin, als die Mutter die frische Prise so fröhlich zu sich nahm.

Von der Sahne aber füllte Agathchen sogleich eine Schaale und schnitt ein Stück von dem weißen duftigen Brot, um es dem armen Weib draußen zu bringen. „Nicht so rasch! sagte die Mutter leise, damit sie nicht überrumpelt wird, wenn sie wieder an der Thüre horcht! Tritt ein bischen laut auf mit den Füßen!"

„Ach, sie thun mir ja zu weh, wenn ich damit stampfe!" erwiederte die Tochter und lachte selbst zu

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/515&oldid=- (Version vom 31.7.2018)