Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage | |
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Vergnügen, wie z. B. wenn man von zwei Menschen den einen wohl leiden möge, den andern hasse, der erste aber ein armer, böser, mißlungener Schwerenöther, der letztere ein unerträglicher Rechtthuer sei, der nichts an sich kommen lasse. Da fühle man sich dann so recht wie eine Vorsehung, wenn man die Unreinlichkeiten und Gebrechen des guten Freundes und Dulders diesem abzunehmen und dem widerwärtigen Rechthaber aufzubürden verstehe. Ja, es sei etwas Großes, mit einem ausgestreuten Wörtlein ein stolzes Haus in Schmach und Ungemach zu stürzen, größer, als wenn ein Zauberer einen Sturm erregen und Schiffe auf dem Meer untergehen lassen könne.
Bei diesen Reden verrieth das Weib weit mehr Welt- und Personenkenntniß, als ihr ungefüges Aeußere und die ärmliche Lage hätten erwarten lassen; aber alle diese Kenntniß war verkümmert und verkrüppelt und wucherte nur um die Oberfläche der Dinge herum, wie ein Moosgeflecht. Auch glich sie trotz ihrer Verschmitztheit zuweilen einem Kinde, welches in Unwissenheit mit dem Feuer spielt und dabei eine Stadt anzündet.
Den oft verworrenen Worten und Anspielungen war mit Mühe zu entnehmen, daß das Weib den eigenen Eltern oder Großeltern vorwarf, eine vornehme Herkunft verläppert und sie dem Elend und
Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/522&oldid=- (Version vom 31.7.2018)