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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

müssen als ganze untheilbare Leute in das Gericht, das Jeden ereilt!"

Justine schaute ihren Mann während dieser Reden unverwandt an und mit erröthendem Gesicht, weil sie empfand, daß sie ihn längst so offen hätte zu ihr sprechen hören können, wenn sie sich eher ihm anvertraut hätte, als einem Kirchenmanne.

Mochten nun Jukundus Worte weise oder thöricht sein, so gefielen sie ihr jedenfalls über die Maßen wohl, zum Beweise, daß sie jetzt ganz ihm angehörte.

„Amen!" sagte Jukundus, „ich glaube fast, ich fange auch an zu predigen!"

„Nicht Amen!" rief Justine, „fahre fort und sprich weiter! denke, diese Baumschule sei Deine Gemeinde und predige ihr, wie jener Heilige den Steinen oder ein anderer den Fischen!"

„Nein, die Kirche ist aus! hörst Du das Zeichen?" antwortete Jukundus lachend, als wirklich in der Ferne hier und dort die Glocken die Beendigung des Gottesdienstes verkündeten.

Sie erhoben sich und gingen langsam nach der Wohnung der Großeltern, so daß es Mittag wurde, bis sie dort anlangten. Die Alten hatten aber, um ein rechtes Versöhnungsfest bei sich zu sehen, die ganze Familie aus Schwanau herauf beschieden und ein einfach kräftiges Mal nach ländlicher Art bereitet.

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/532&oldid=- (Version vom 31.7.2018)