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Gottfried Keller: Kleider machen Leute. In: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage, Band 3

andere, sie lasse sich ihr Kind nicht rauben; wer es kenne –“

Hier stockte Wenzel Strapinski abermals und wußte sich nicht recht fortzuhelfen.

Nettchen fragte: Was sagte die Mutter, wer es kenne? Warum fahren Sie nicht fort?

Wenzel erröthete und antwortete: „Sie sagte etwas Seltsames, was ich nicht recht verstand und was ich jedenfalls seither nicht verspürt habe; sie meinte, wer das Kind kenne, könne nicht mehr von ihm lassen, und wollte wohl damit sagen, daß ich ein gutmüthiger Junge gewesen sei oder etwas dergleichen. Kurz, sie war so aufgeregt, daß ich trotz alles Zuredens jener Dame entsagte und bei der Mutter blieb, wofür sie mich doppelt lieb hatte, tausendmal mich um Verzeihung bittend, daß sie mir vor dem Glücke sei. Als ich aber nun auch etwas verdienen lernen sollte, stellte es sich heraus, daß nicht viel anderes zu thun war, als daß ich zu unserem Dorfschneider in die Lehre ging. Ich wollte nicht, aber die Mutter weinte so sehr, daß ich mich ergab. Dieß ist die Geschichte.

Auf Nettchens Frage, warum er denn doch von der Mutter fort sei und warum? erwiederte Wenzel: Der Militärdienst rief mich weg. Ich wurde unter die Husaren gesteckt und war ein ganz hübscher rother

Empfohlene Zitierweise:
Gottfried Keller: Kleider machen Leute. In: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage, Band 3. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/79&oldid=- (Version vom 31.7.2018)