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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

ferner eine rothe Zigarrentasche mit vergoldetem Schloß, in welcher schöne Cigarren lagen mit kirschroth und weiß getigertem Deckblatt, ein abenteuerlich eleganter Feuerzeug, eine silberne Tabaksdose und eine gestickte Schreibtafel. Auch führte er das komplicirteste und zierlichste aller Geldtäschchen mit unendlich geheimnißvollen Abtheilungen.

Diese sämmtliche Ausrüstung war ihm die Ideal-Ausstattung eines Mannes im Glücke; er hatte dieselbe, als kühn entworfenen Lebensrahmen, im Voraus angeschafft, als er noch an seinem kleinen Vermögen geknabbert, aber nicht ohne einen tieferen Sinn. Denn solche Anhäufung war jetzt nicht sowohl das Behänge eines geschmacklosen eiteln Mannes, als vielmehr eine Schule der Uebung, der Ausdauer und des Trostes zur Zeit des Unsterns, sowie eine würdige Bereithaltung für das endlich einkehrende Glück, welches ja kommen konnte wie ein Dieb in der Nacht. Lieber wäre er verhungert, als daß er das geringste seiner Zierstücke veräußert oder versetzt hätte; so konnte er weder vor der Welt, noch vor sich selbst für einen Bettler gelten und lernte das Aeußerste erdulden, ohne an Glanz einzubüßen. Ebenso war, um nichts zu verlieren, zu verderben, zu zerbrechen oder in Unordnung zu bringen, eine fortwährend ruhige und würdevolle

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/99&oldid=- (Version vom 4.6.2020)